„Das Kulturideal des Liberalismus“ von Wilhelm Röpke

Bei einer Literaturrecherche zum Thema „Kulturpolitik“ stieß ich auf einen hochinteressanten Text von Wilhelm Röpke (1899 – 1966) aus dem Jahr 1947. Er trägt den Titel „Das Kulturideal des Liberalismus“. Es handelt sich dabei um einen dreiteiligen Aufsatz von nicht mehr als 20 Druckseiten. Die Zwischenüberschriften lauten: „Der Niedergang des Liberalismus“, „Das Wesen eines unvergänglichen Liberalismus“ und „Kritik am vergänglichen Liberalismus“. Nicht nur weil die FDP, die stets für sich in Anspruch genommen hat, die Partei des deutschen Liberalismus zu sein, soeben mit 4,8 Prozent der Wählerstimmen erstmalig aus dem Bundestag verbannt wurde und auch sonst in der praktischen Politik immer stärker zu verblassen scheint, forderte Röpkes Text mein spezielles Interesse heraus; auch weil das Wort „liberal“ und einhergehend damit der Begriff „Freiheit“ von allen anderen demokratischen Parteien in Deutschland ebenfalls gern benutzt werden; oft genug, vielleicht auch zu oft, wird „liberal“ dabei, so scheint mir, eher als epitheton ornans, als schmückendes Beiwort eingesetzt, veritable liberale Politik bezeichnet es eher in Ausnahmefällen.

 Mich reizte es also, die Ansichten des Klassikers Röpke aus der unmittelbaren Nachkriegszeit mit aktuellen Zuständen zu vergleichen. Wilhelm Röpke war bekanntlich einer der Väter unserer sozialen Marktwirtschaft und einer der engsten Berater des liberalen Wirtschaftsministers Ludwig Erhard, der allerdings nicht FDP-, sondern zunächst parteilos und seit 1966 (!) CDU-Mitglied war; wenn es 1948 auch die FDP war, die den vom „Liberalen Sozialisten“ Franz Oppenheimer promovierten Politik-Wissenschaftler für das Amt des Direktors der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes vorschlug und ihm dadurch ermöglichte, 1949 Wirtschaftsminister zu werden.

Bereits 1930 erschien Röpkes Aufruf gegen die Nazis

Wilhelm Röpke wird häufig der vom Wirken Walter Euckens geprägten ordoliberalen „Freiburger Schule“ zugerechnet, obwohl der vor den Nazis 1933 ins Ausland geflohene Niedersachse niemals in Freiburg gelehrt hat, sondern vor allem als Ökonomie-Professor und Soziologe in Marburg, Istanbul und Genf tätig war. Schon 1930 hatte Röpke in seiner niedersächsischen Heimat einen Aufruf gegen die Nationalsozialisten verfaßt und verbreitet, in dem es unter anderem heißt: „Niemand, der nationalsozialistisch wählt, soll später sagen können, er habe nicht gewußt, was daraus entstehen könnte. Er soll wissen, daß er Chaos statt Ordnung, Zerstörung statt Aufbau wählt!“ Seiner Verhaftung konnte Röpke sich nach der „Machtergreifung“ nur durch die Emigration zuerst in die Türkei und dann in die Schweiz entziehen.

 Als überzeugter Marktwirtschaftler, der nicht nur aufgrund seiner Biographie, sondern vor allem wegen der engagierten Geradlinigkeit seiner wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Veröffentlichungen höchste Integrität besaß, gehört Röpke in die erste Reihe der Persönlichkeiten, denen wir die Erfolge einer liberalen, marktsozialen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung zu verdanken haben. Wenn auch, das sei nicht verschwiegen, manche seiner kleinteiligen alternativen Vorschläge zur sich ausbreitenden Industriegesellschaft mit den Krakenarmen ihrer Großkonzerne („Elephantiasis“) und der Arroganz von Lobby-Verbänden („die sich den Staat zur Beute machen“) eine naiv-romantische Verkennung der Realitäten verraten und eine nachgerade an die Fortschrittsverweigerung eines Rousseau erinnernde Qualität haben. Bei aller Berechtigung der Röpkeschen Kritik am unmoralischen, beutegierigen „Raubtierkapitalismus“ – eine Rückkehr der Arbeiter und Angestellten zur bäuerlichen Scholle wäre im Zuge des „Wirtschaftswunders“ wohl schlechterdings unmöglich und überdies wenig sinnvoll gewesen.

 Im ersten Teil der kleinen Schrift Röpkes zum „Kulturideal des Liberalismus“ findet man zunächst eine Polemik gegen den „Mummenschanz“, als den er den Sprachgebrauch in der Politik bezeichnet: „Es ist eines der dringendsten Gebote der öffentlichen Geisteshygiene, von den großen politischen Sammelbegriffen der Gegenwart die Kruste abzukratzen …“ Zu diesen Sammelbegriffen zählt er auch den „Liberalismus“, und er erinnert daran, daß „Liberalismo“ einst im spanischen Parlament, der „Cortes“, als Gegenbegriff zum „Servilismo“, einer unterwürfigen, liebedienerischen Haltung, aufgekommen war und ein stolzes Bekenntnis zu Fortschritt und Freiheit bedeutete.

 Und heute? Wie steht es zum Beispiel mit dem Gebrauch des Begriffes „Freiheit“, dem alle anderen Werte überstrahlenden Grundwert liberaler Politik? In allen demokratischen Parteien hat das Wort eine positive Konnotation, aber was bedeutet es denn? Auf der linken Seite hofiert man die Freiheit, wenn Sahra Wagenknecht zum Beispiel ihr letztes Buch Freiheit statt Kapitalismus betitelt oder wenn die SPD ihrer Zukunftswerkstatt den Namen „Demokratie und Freiheit“ gibt. Die Freidemokraten nehmen die Freiheit sozusagen von Haus aus in Anspruch, sowieso, und illustrieren damit beispielsweise ein nichtssagend verallgemeinerndes Wahlkampfmotto: „Freiheit und Verantwortung“. Die Christdemokraten wagen den Spagat und überschreiben ihr Grundsatzprogramm mit den Worten „Freiheit und Sicherheit“. Zugleich etabliert sich an der Peripherie der Grünen ein Institut für Grundsatzfragen, ein sogenannter Think Tank, der sich „Grüne Freiheit“ nennt. Und selbst das zerklüftete Sammelsurium von Gruppen und Grüppchen rechts von CDU/CSU geht mit dem Freiheitsbegriff hausieren, zum Beispiel wenn eine rechtspopulistische Kleinpartei kurz und bündig als „Die Freiheit“ auftritt oder eine national gesinnte Wochenzeitung mit dem eigenartigen Namen Junge Freiheit daherkommt. (Gibt es auch eine alte Freiheit?, möchte man da fragen.)

 All diese zum Teil in höchst unterschiedliche Richtungen weisenden Freiheitsbegriffe zeigen mehr als deutlich, daß „Freiheit“ zu einer allzu beliebig verwendbaren Vokabel geworden ist. Und vielleicht kann man angesichts der unübersichtlichen Vielfalt von Bedeutungen, die mit der Freiheitsvokabel und also auch dem Begriff „liberal“ verbunden sind, von einer „Krisis des Liberalismus“ sprechen, wie Röpke es 1947 getan hat. Wenn wir bei der FDP bleiben, der Partei, die sich gern in die stolze Tradition liberalen und aufgeklärten Denkens in Deutschland stellt, so mögen die Worte Röpkes vom „Niedergang seines politischen Einflusses“ und sein Satz: „Es ist eine handgreifliche Wahrheit, daß die Krisis unserer Gesellschaft mit der Krisis des Liberalismus zusammenfällt“, auch heute wieder Geltung haben. Aber auch bei den anderen demokratischen Parteien läßt sich nicht übersehen, daß Gängelung und Beschnüffelung von Staats wegen dem Bemühen um mehr Chancen für das Engagement und die Selbstbestimmung jedes einzelnen den Rang abgelaufen haben. Das Programm der Großen Koalition atmet eher staatsautoritäres Verordnungs- und Versorgungsdenken, als daß es sich einem sozialen Liberalismusverständnis verpflichtet sähe. Datenspeicherung auf der einen und rigide Mindestlohnregeln auf der anderen Seite sind nur zwei von vielen Beispielen. Röpke weist darauf hin, daß 1947 ein erheblicher Teil der Schuld am Niedergang des Liberalismus bei den Liberalen selbst gelegen habe. Auch wenn sich die Zeiträume von damals und heute nicht vergleichen lassen, so ist ihm doch, was die Freidemokraten angeht, vorbehaltlos zuzustimmen. (Es grenzt an Masochismus, wenn die FDP angesichts ihrer blamablen sozialpolitischen Bilanz, die ihr das Etikett sozialer Kälte eingetragen hat, nun plötzlich von einem „mitfühlenden Liberalismus“ faselt. Der Wähler denkt dabei eher an einen Streichelzoo als an ernsthafte liberale Sozialpolitik.) Aber auch was das konturlose, ausgezehrte Bild des Liberalismus bei den anderen Parteien angeht, dürfte Röpkes Diktum zutreffend sein.

Wie steht es heute mit dem Begriff„Freiheit“?

Im zweiten Teil seines Aufsatzes spricht Röpke über einen „unvergänglichen Liberalismus“, über seine zum Teiljahrtausendealte Grundsubstanz. Im recht verstandenen Sinn identifiziert er ihn mit Humanität, Naturrecht, Kultur der Persönlichkeit und universellen Werten wie Menschenwürde und Toleranz. Er schreibt aber auch von der „Spannung zwischen Freiheit und Bindung“, die stets dem Liberalismus immanent gewesen sei. Für ihn hebt sich diese Spannung in der Neuzeit durch das moralische Bekenntnis zum Christentum und zur christlichen Sozialethik auf. Christentum und Liberalismus sind in seinem Verständnis zwei Seiten derselben Medaille. Dem mag man zustimmen oder nicht; wenn er aber schreibt: „Mit alledem ist er [der Liberalismus] schließlich rationalistisch in dem zunächst noch nicht kritisch gemeinten Sinne, daß der Liberale als Humanist allen Menschen die nämliche Vernunft zuschreibt, als Personalist [= Individualist – K.H.] in ihr, des Menschen allerhöchste Kraft‘ sieht, als antiautoritärer und universaler Sozialphilosoph aber die Vernunft zum Richter macht, vor dem sich die Torheiten, Lügen und Bosheiten der Menschen zu verantworten haben“, so findet dies gewiß auch heute die Zustimmung eines jeden, der sich dem Liberalismus verbunden fühlt.

 Die letzten Absätze dieses zweiten Teils im Essay Röpkes sind ein großartiges Plädoyer für einen aufrichtigen, dem menschlichen Maß verpflichteten Liberalismus, wie man es heute auch gern einmal von einem/r unserer Politiker/innen, die immer wieder das Wort von der Freiheit im Mund führen, hören möchte. Nicht am unkritischen Optimismus eines Rousseau orientiert sich Röpke, sondern an der Skepsis eines Pascal: „L’homme n’est ni ange ni bête; et le malheur veut que qui veut faire l’ange fait Ja bête.“ Und Röpke faßt zusammen: „Er [der Liberale] glaubt nicht, daß ein Gesellschafts- und Wirtschaftssystem praktisch sei, welches Heilige oder Helden voraussetzt, sondern nur ein solches, das mit den Menschen rechnet, wie sie bestenfalls im Durchschnitt sind. Er ist alles andere als ein Moralist, der den Wagen der Tugend auch durch den tiefsten Morast zwingen möchte … Er ist ein Realist, der sich nicht über ,schwarze Märkte‘ wundert, wenn zuvor eine ,schwarze Finanzpolitik‘ der Inflation treibenden Regierungen die Bedingungen dafür geschaffen hat.“

 Rechtsstaatlichkeit und Dezentralisation, die Lösung des Menschen aus willkürlicher Herrschaft und die im Sinne des Moralisten Adam Smith geforderte Konkurrenz zwischen dezentral organisierten, möglichst kleinen und mittelständischen Einheiten in der Wirtschaft, denen das Recht auf Eigentum zusteht, die aber auch einem strengen Ordnungsrahmen des starken Staates verpflichtet sind, das sind nach Röpke die unverzichtbaren Bedingungen für eine prosperierende liberale Gesellschaft, die das Attribut der Freiheit verdient: „Der Liberale hält es mit Montesquieu und nicht mit Rousseau, mit dem ,Esprit des Lois‘ und nicht mit dem ,Contrat Social‘, einem Buch, das ein anderer großer Denker des Liberalismus, Benjamin Constant, le plus terrible auxiliaire de tous les genres de despotisme genannt hat.“ Schließlich sollten die Liberalen, so Röpke, einen Kardinalfehler vermeiden, der leider in ihrer Geschichte immer wieder vorgekommen sei – und der, so möchte man hinzufügen, wenn man zum Beispiel den Koalitionsvertrag der Großen Koalition würdigt, auch heute noch nicht ad acta gelegt wurde -: die Freiheit nämlich der Gleichheit zu opfern.

Irrungen und Wirrungen des Liberalismus

Im letzten Teil des Aufsatzes von Röpke geht es um eine kurze „Kritik des vergänglichen Liberalismus“. Es geht um die Irrungen und Wirrungen, denen der Liberalismus im laufe seiner Geschichte immer wieder aufgesessen ist. Zum Beispiel wenn die Ambivalenz des Begriffes „Vernunft“ in Rede steht, der eigentlich „das wärmende Zentralgestirn abendländischer Kultur“ sei. Die Menschen aber glaubten in Zeiten rationalen Überschwangs, mit Hilfe der Vernunft letztlich alle Probleme lösen zu können, und verfielen in eine Hybris, die zum Beispiel zu den Schrecken atomarer Bedrohungen führte. Dem wahrhaftigen Liberalismus, so Röpke, müsse es aber darum gehen, „die Schranken zu achten, die dem Gebrauch der Vernunft gesetzt sind“.

 Erinnern uns solche Sätze nicht an die hemmungslose Datensammelwut unserer Tage, die ganze Bevölkerungen unter Generalverdacht stellt und den Menschen ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung verweigert, obwohl nirgendwo schlüssig nachgewiesen wurde, daß diese überdimensionierten Datenspeicher der nötigen Sicherheit zuträglich sind? Der Hybris sind die Überwachungssysteme unserer Zeit und ihre Apologeten anscheinend in noch höherem Maße verfallen, als es die vom Bazillus eines grenzenlosen Rationalismus infizierten Liberalen der Aufklärung gewesen sein mögen. Es scheint, als setzten viele unserer Politiker eher auf den Zynismus freiheitseinschränkender Möglichkeiten geheimnisumwitterter technischer Apparate als auf den öffentlichen Diskurs, der potentielle Sicherheitsrisiken mit mehr Erfolg begrenzen könnte.

 Mit dem falsch verstandenen Vernunftglauben, so Röpke, geht eine Vergötzung materiellen Zuwachses einher, die moralische Werthaltungen wirkungslos, ja lächerlich erscheinen läßt, „bis dann einmal der Augenblick kommt, da diese innerlich ausgehöhlte und nur noch mit einigen Phrasen mühsam gestützte Welt von einem terrible simplificateur vollends zum Einsturz gebracht und die liberale Zivilisation von der illiberalen Hölle abgelöst wird, die bloße Barbarei zu nennen eine Beleidigung der braven Wilden wäre“. – Wenn man solches liest und die aktuelle Wirklichkeit zu Rate zieht, so könnte man wieder meinen, daß Röpke hier doch ein wenig übertreibt. Aber war es nicht die grenzenlose und bedenkenlose Spekulations- und Geldgier, die unsere vermeintlich zivilisierte Welt in die größte Finanzkrise nach der Epochenwende von 1945 gestürzt hat, vielleicht sogar in die größte Finanzkrise aller Zeiten? Von moralischer Integrität der Verantwortlichen kann dabei wohl kaum auch nur ansatzweise gesprochen werden. Was Röpke die materielle Dekadenz genannt hat, begegnet uns hier als häßliche „Schlammblase“ skrupellos entfesselter Gewinnsucht.

 Schließlich schreibt Röpke von den „wirtschaftlichen Konsequenzen des Liberalismus“. So eindeutig er sich dabei für Demokratie und Marktwirtschaft ausspricht, so deutlich benennt er aber auch die damit verbundenen Fehlinterpretationen: „Hier könnten viele Mißverständnisse und Zänkereien vermieden werden, wenn man sich auf allen Seiten – auch im Lager der Liberalen – darüber klar würde, daß das Ideal des sogenannten wirtschaftlichen Liberalismus, nämlich die freie Marktwirtschaft, keineswegs zu den primären Zielen des geistig-politischen Liberalismus gehört.“ Marktwirtschaft ist ein effektives Instrument, eine soziale Methode – mehr nicht. Sie hat moralischen, geistig-politischen Zielen und dem Glück der Menschen zu dienen. Ihren Zweck erfüllen kann sie aber nur, wenn ihre Risiken von einem „starken Staat“ gebändigt werden, der den rechtlichen Rahmen, den fairen Wettbewerb und auch den sozialen Ausgleich gewährleistet. Nur dann ist sie der Freiheitsraum, den das liberale Ideal bezeichnet. – Der Röpke-Kenner Roland Hahn weist zu Recht darauf hin, daß von Röpke „der Glaube an die automatische Harmonie einer nur durch Interessenpluralismus geleiteten Gesellschaft … auf das Schwerste erschüttert und in seiner letztlich fatalen Wirkung aufgezeigt“ wurde.

 Von wem nun kann eine im wohlverstandenen geistig-moralischen Sinne liberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verwirklicht und bewahrt werden? Röpke plädiert für einen „Friedensschluß“ zwischen Liberalen und  „liberalen, d.h. antitotalitären Sozialisten“: „Ein solcher Friedensschluß sollte auch auf beiden Seiten durch die Einsicht erleichtert werden, daß Liberale und liberale Sozialisten so viele geistige Ahnen gemeinsam haben und daß sie beide an einer Welt gezimmert haben, die heute zusammenbricht und in ihrem Zusammenbruch mitreißt, was beiden gleich teuer sein muß.“ – Auch hier möchte man – mit Blick auf unsere heutige Situation – meinen, Röpke sei nicht mehr recht aktuell. Aber hat der Niedergang der Freidemokraten nicht auch damit zu tun, daß sie sich seit vielen Jahren in bockiger Verstocktheit einem „Friedensschluß“ mit liberalen Sozialisten verweigern? Noch kurz vor der letzten Bundestagswahl schloß der damalige Prätendent auf den Parteivorsitz und heutige Vorsitzende ein Zusammengehen mit der SPD kategorisch aus. Als Wurmfortsatz der CDU freilich sind der FDP nun fast alle Felle davongeschwommen. Dabei wäre es wichtig, daß auch den liberalen Sozialisten zum Beispiel der Hang zum Schuldenmachen von einem liberalen Korrektiv ausgetrieben würde. Die CDU/CSU scheint dazu nicht in der Lage zu sein. (Peter Graf Kielmansegg hat jüngst in seinem Buch Die Grammatik der Freiheit desillusionierend deutlich gemacht, warum Regierungsparteien in der Demokratie meist mehr ausgeben, als sie einnehmen; und daß dagegen zu Feld zu ziehen eine Sisyphus-Arbeit bedeutet.) überdies hat nicht nur die Haltung des sozialdemokratischen Justizministers zurVorratsdatenspeicherung inzwischen gezeigt, daß es durchaus praktikable Übereinstimmungen mit liberaler Programmatik gibt.

 Was würde Röpke wohl heute dazu sagen, daß wir in Deutschland einen Schuldenberg von nahezu 80 Prozent der Wirtschaftsleistung angehäuft haben und daß die Große Koalition munter weiter Schulden machen will? Wirtschaftliche Vernunft, wie er sie sich 1947 vorgestellt hat, sähe er hier wohl nicht am Werk. Und die Notwendigkeit einer Schuldenbremse mit Verfassungsrang – die hoffentlich nicht durch Winkelzüge und Ausnahmeregelungen umgangen werden wird – hielte er wohl eher für ein politisches Armutszeugnis und eine Kapitulation vor dem Feind, als daß sie einer liberalen politischen Kultur, wie er sie verstanden hat, zuzurechnen wäre.