Dynamische Weiterbildung – Überlegungen und Vorschläge
Heimo Mäntynen, Karl-Heinz Hense und Hermann Wallmann

Einleitung
Jeder Erwachsene und Erwachsenenbildner, der den gegenwärtigen Zeitabschnitt mit einem normalen Wandel oder mit einer einfachen geradlinigen Ausdehnung der industriellen Revolution verwechselt, unterschätzt in gefährlichem Maße die Tragweite und Geschwindigkeit der Veränderungen, die unmittelbar vor uns liegen. Der wichtigste Grundzug dieser Entwicklung wird das Tempo sein – der Erwachsene wird gezwungen sein, die Beziehungen zu seiner Umgebung in einem unnachgiebig wachsenden Tempo anzuknüpfen oder abzubrechen. Dinge, Plätze, Menschen, Organisationen und Informationen, die durch sein Leben eilen, werden ihn dazu zwingen, zu lernen, zu verlernen, sich zu engagieren und zu disengagieren, kurz – zu leben in einem schnelleren Tempo als alle Generationen jemals zuvor. Diese Tempobeschleunigung des täglichen Lebens des Erwachsenen bewirkt schon jetzt in vielen von uns manche Verunsicherungen und gefährdet auch die Verbesserung der Qualität des Lebens. An die Weiterbildung werden vollkommen neue Anforderungen gestellt, denn das beschriebene Tempo des Lebens wird auch die Aufgaben, Methoden und Inhalte der Weiterbildung bestimmen.

Die vorliegenden Gedanken zur Dynamischen Weiterbildung sind aus den Überlegungen entstanden, die in einem Seminar auf dem Gebiet der Weiterbildung am Pädagogischen Institut der Westfälischen Wilhelms Universität Münster angestellt wurden. Dieses Seminar orientierte sich an der Notwendigkeit einer zukunfts-, prozeß- und problembezogenen Weiterbildung. Mit dem herkömmlichen Lehrangebot – sowohl an etlichen Erwachsenenbildungs-Institutionen als auch an Universitäten und Hochschulen – unzufrieden, bemühte es sich um eine dynamische Konzeption, die den gesellschaftlichen Wandel auch im Lehrangebot wiederspiegelte.

Im Folgenden werden die Fehlkonzeptionen über die Zielsetzung der Weiterbildung, über die Rollen der Erwachsenenbildner und der Erwachsenen, die nach der Meinung der Verfasser die gegenwärtige Rückständigkeit der Weiterbildung verursacht haben, aufgezeigt.

Die Verfasser gehen davon aus, daß es die Hauptaufgabe der Dynamischen Weiterbildung ist, zur Verbesserung der Qualität des Lebens beizutragen, und daß die Weiterbildung an Universitäten und Hochschulen nur in einem bestimmten theoretischen und politischen Sinne und Kontext betrieben werden kann; politische und gesellschaftliche Neutralität gegenüber den drohenden Massenproblemen kommt uns als eine unverantwortliche Haltung vor.

Seminartechnisch bedeutete das, daß in jedem Semester eine gewisse gesellschaftliche und politische Grundorientierung neu diskutiert wurde, so daß die Seminararbeit nicht von nichtssagender Neutralität und Unverbindlichkeit belastet war. Für diesen Zweck wurde das sogenannte „Grüne Papier der Weiterbildung“ 1) entworfen, das am Anfang eines jeden Semesters den Seminarteilnehmern zur Revidierung vorgelegt wurde. Die daraus folgenden Hinweise wurden nach Möglichkeit in der Seminargestaltung berücksichtigt.

Die vorliegenden Überlegungen und Vorschläge sollen keine detaillierte und endgültige Konzeption darstellen; vielmehr wollen die Verfasser Ansätze zu einer Revision der traditionellen Erwachsenenbildung aufzeigen.

Dynamische Weiterbildung – Voraussetzungen und Perspektiven

1.Dynamische Weiterbildung ist integrierter Bestandteil des Bildungssystems (Vorschule, Gesamtschule und -hochschule, Weiterbildung) in einer Gesellschaft, deren Hauptcharakteristikum die extreme Geschwindigkeit ihres Wandels ist. Wie keine Gesellschaft vor ihr ist sie mit dem Problem der Zukunftsbewältigung konfrontiert. Damit die dynamische Entwicklung und Veränderung dieser Gesellschaft vom Menschen bewußt und rational initiiert, getragen und kontrolliert werden kann, sind demokratische Entscheidungs- und Mitbestimmungsprozesse auf allen Gebieten (politisch, sozial, wissenschaftlich, technologisch) erforderlich. Allein in dieser Abhebung von einer Dynamik, die Produkt einer nur funktionellen Rationalität ist, ist eine Verbesserung der Qualität des Lebens möglich.

2. Bedingung und Ziel von Demokratie sind Ausbildung von herrschaftsfreier, d. h. nicht manipulierter Urteils- und Entscheidungsfähigkeit. Weiterbildung in einer so verstandenen Demokratie bedeutet politische Initiative; sie hat sich zu orientieren an den Kriterien Relevanz und Partizipation 2).

3. Die Diskrepanz zwischen dem demokratischen Anspruch des Grundgesetzes und der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist so groß, daß dieser Anspruch faktisch bereits aufgegeben, bzw. zur Unverbindlichkeit degradiert worden ist. Diese Gesellschaft, die sich als pluralistisch ausgibt, verbirgt, daß Entscheidungen in der Regel nicht durch demokratische Prozesse, sondern durch Machtinteresse: ungerechte Eigentumsverteilung; Einfluß nichtparlamentarischer Gruppen auf die Gesetzgebung; Manipulation – z.B. Pressekonzentration – bestimmt werden. Das „freie Spiel der Kräfte“ ist zu einem „freien Spiel der Mächte“ geworden. Deutlich zeigt sich das beispielsweise in dem Prinzip „Bedarfsweckung statt Bedarfsdeckung“ (Konsumgesellschaft, Konkurrenzprinzip); die suggerierte „Freiheit“ zum Konsum festigt einerseits die existierenden Macht- und Profitinteressen, dient andererseits zum Ersatz für politische Mündigkeit und demokratische Freiheit.

Zukunftsforschung und -planung in einer solchen Gesellschaft können nur kommerzielle, technologische und militärische, nicht aber soziale Zielsetzungen haben; Geschwindigkeit und Qualität des Wandels sind demokratischer Kontrolle entzogen. Die Investitionen für das Bildungssystem und soziale Verbesserungen d. h. Verbesserungen für die Möglichkeiten zur Emanzipation des Individuums‘ bleiben weit hinter dem Aufwand für Technologie und Rüstungswesen zurück: Das Individuum wird mit Entwicklungen und Konstellationen konfrontiert, ohne durch ein sich politisch verstehendes Bildungssystem befähigt worden zu sein diese Entwicklungen zu übersehen, zu kontrollieren, bzw. kritisch zu bestreiten: Politische Entmündigung und das Fehlen von kritischen Anpassungsfähigkeiten, bedingt durch die Antiquiertheit des Bildungssystems, lassen es von einem „Zukunftsschock“ 3) bedroht erscheinen. Nach Toffler bedeutet der „Zukunftsschock“ den Zusammenbruch der Persönlichkeit, den Verlust der geistigen Abwehrkräfte, Flucht in Passivität, Fatalismus und Irrationalismus 4). Das Individuum wird verfügbar für die Interessen der herrschenden Machtgruppen.

Den hier nur angedeuteten undemokratischen Charakter der politisch-sozialen Wirklichkeit durch Aufklärung aufzudecken und mit seinem Abbau durch Ausdehnung des Mitbestimmungsprinzips auf alle gesellschaftlichen Bereiche zu beginnen, ist nicht nur ein erster Schritt zur Rehabilitierung des demokratischen Anspruchs, sondern auch zur Vermeidung des Zukunftsschocks.

4. Zwischen dem Bildungssystem und der gesellschaftlichen Realität besteht eine Wechselwirkung. Wechselwirkung in einem sich demokratisch verstehenden Staat muß dialektisch sein. Das Bildungssystem steht einerseits in der Abhängigkeit von dem Staat, der es trägt, und seinem Normengefüge, muß aber andererseits die sozialen Prozesse und die soziale Wirklichkeit analysieren und diese Realität am demokratischen Anspruch messen. Das bedeutet: Es steht der gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht fremd gegenüber, sondern deckt Mißstände auf und analysiert sie, stellt also Diagnosen, um auf dieser Erkenntnisgrundlage Strategien zur wirksamen Bekämpfung der Mißstände zu entwickeln. Statt der herrschenden Ideologie Anpassungsmechanismen zu liefern, versucht es durch konstruktive Ideologiekritik zur Verwirklichung echter Demokratie beizutragen. Dadurch gibt es sich selbst die Aufgabe, sich von machtorientierten Rechtfertigungsideologien zu distanzieren. Das bedeutet nicht, daß es der Praxis nur eine Theorie gegenüberstellt. Vielmehr haben alle erarbeiteten Strategien sich am Kriterium der Relevanz gegenüber der praktischen Demokratie auszurichten.

Konkret bedeutet das permanente Curriculumrevision und Flexibilität in der Bestimmung von Lernzielen. Wenn das Bildungssystem auf seine kritische Funktion verzichtet, führt das zu einer Produktion von Rechtfertigungsideologien und Anpassungspraktiken für den status quo. Dieser Gefahr kann das Bildungssystem nur begegnen, wenn es die Wechselwirkung dialektisch versteht, d. h. wenn es die Wirklichkeit ständig am demokratischen Anspruch mißt. Diese kritische Rückwirkung des Bildungssystems auf die Gesellschaft, die es trägt, ist also ein unentbehrliches Instrument zur Verwirklichung und Erhaltung der Demokratie.

Rein phänotypisch betrachtet könnte man aus dieser dialektischen Entwicklung theoretisch einen absoluten Moment herausnehmen und die These aufstellen. Wechselwirkung bedeutet: die Gesellschaft ist immer so „gut“, bzw. „schlecht“ wie ihr Bildungssystem, und umgekehrt. „Gut“ und „schlecht“ bedeuten in diesem Zusammenhang die Verwirklichung von mehr, bzw. weniger Demokratie.

Traditionelle Erwachsenenbildung – Fehlkonzeptionen

Angesichts der Qualität und des unerwartet schnellen Tempos des sozialen Wandels sind viele der traditionellen Erwachsenenbildungseinrichtungen überfordert. Bei einigen von ihnen – oft solchen mit ehrwürdigem historischen Hintergrund sind die Erwachsenenbildungsprogramme erstarrt zu lediglich mechanischen Reaktionen auf Probleme von gestern.

Die Erwachsenenbildung als Institution fällt weit hinter alle anderen sozialen Prozesse zurück. Zu viele der allgemein bekannten Programmangebote können als eine Art Deklaration von Unwissenheit betrachtet werden. Und diese Unwissenheit darüber, was jetzt als Resultat von sozialem Wandel und technologischer Entwicklung auf uns zukommt, kann zu einem Zusammenbruch der zwischenmenschlichen Verständigung führen, sie kann Lernprozesse behindern und immer mehr unsere Fähigkeit zerstören, mit dem, was wir selbst initiiert hatten, auch weiterhin fertigzuwerden.

Die traditionelle Erwachsenenbildung leidet unter einem Bündel von Fehlkonzeptionen, die ihre Lehr- und Lernprozesse beeinflussen. Im Folgenden sind elf Fehlkonzeptionen aufgeführt. Die ersten acht beziehen sich auf die Institution Erwachsenenbildung, die neunte bezieht sich auf den Erwachsenenbildner, die letzten zwei auf die Erwachsenenrolle.

Die erste dieser Fehlkonzeptionen ist die, daß Erwachsenenbildung sich in ihrer Zielsetzung programmatisch zwar als offen versteht, faktisch aber an gesellschaftlich irrelevanten Wertsystemen orientiert: Verabsolutierung von konfessionellen Ansätzen und Bildungsidealen privilegierter Schichten (Humboldtsches Bildungsideal). Vorstellungen also, die für die, denen die Erwachsenenbildung hatte helfen sollen, nur geringfügige oder gar keine Bedeutung besitzen. Es ist eine der Tragödien in der Erwachsenenbildung, daß zuviel Energie für Bemühungen verschwendet wird, aus den Menschen zu machen, was sie unmöglich werden können: Ideale.

Eine zweite Fehlkonzeption entwickelt sich zu der Krankheit, irrelevante Fragen zu stellen. Erwachsenenbildung ist angetreten unter dem Anspruch, Katalysator sozialer Prozesse zu sein, sie entwickelt sich aber zum Warenhaus von Fragen ohne Antworten. Zu wenig Aufmerksamkeit wird der Fähigkeit geschenkt, auf dem Boden relevanter Probleme die entsprechenden Fragen zu stellen und rational zu beantworten. Es wird versäumt, Erfahrungen zu systematisieren und Fakten und Informationen über die gesellschaftliche Wirklichkeit planvoll zu sammeln und in das Angebot mit einzubringen.

Eine dritte Fehlkonzeption ist die Tendenz, Erwachsenenbildung von Aktion und Politik zu trennen, ein nur zu konsequentes Resultat der theoretischen Unterscheidung von Wissen und Handeln in einer Reihe von Erwachsenenbildungstheorien. Diese Unterscheidung führt zu einer Zersplitterung (hier Theorie dort Praxis) der menschlichen Persönlichkeit. Eine der Folgen ist die kursierende Krankheit, mit Erwachsenenbildungswunschvorstellung und -postulaten zu jonglieren, ohne sie irgendwo einzuleiten und verwirklichen. Die Praxisimplikationen ihres Anspruchs bleibt unberücksichtigt. Was man mit den Mängeln der menschlichen Natur begründet, ist in Wirklichkeit Folge eines allzu unpolitischen Selbstverständnisses der Erwachsenenbildung und ihres Beharrens auf unkritischer Angepaßtheit.

Eine vierte Fehlkonzeption ist das Versäumnis, zu erkennen, das Erwachsenenbildung, wie sie heute durchgeführt wird, im Begriff ist, durch die Anpassung an den status quo ihre eigene Existenzberechtigung aufzugeben. Die „one-way-communication“ und schweigende Hörerschaft – das bedeutet: Fehlen von feed back und Kontrolle – führen dazu, daß das etablierte Erwachsenenbildungssystem nur bestätigt, nicht aber kritisch in Frage gestellt wird. Durch diese Anpassung an das Bestehende wurde die Erwachsenenbildung „akzeptabel“, erreichte ihre Legitimation und wurde zur Unterstützerin dessen, was zu verändern sie sich vorgenommen hatte.

Eine fünfte Fehlkonzeption in der traditionellen Erwachsenenbildung ist die Unfähigkeit das Wesen und die Funktion der Information zu verstehen. lnformation ist Material und besitzt alle Charakteristika von Material – konsequenterweise kann sie für verschiedene Absichten gebraucht werden. Auf zwei Fähigkeiten legt die Erwachsenenbildung zu wenig Gewicht: Auf die Fähigkeit Informationen sinnvoll auswählen, und auf die Fähigkeit, Information benutzen zu können.

Eine sechste Fehlkonzeption liegt in dem Versäumnis begründet, zu erkennen daß wir manchmal mit Antworten konfrontiert sind, ohne die ihnen vorausgehenden Fragen zu kennen, mit Wirkungen, deren Ursachen uns unbekannt geblieben sind; wir werden quasi von den Antworten überrumpelt. Dieses führt dazu, daß man sagt: „Wenn das die Antworten sind, wollen wir die Fragen gar nicht mehr wissen“, man kuriert an Symptomen. Rechtzeitige Zukunftsforschung und -planung hätten davon schützen können.

Eine siebente ist das Mißverständnis, das Prinzip der Freiwilligkeit als Beliebigkeit zu interpretieren: Lernziele werden nicht nach· den Kriterien der Relevanz bestimmt, sondern von subjektiven Interessen und anachronistischen Standpunkten; die Erwachsenen werden nicht nach Zielgruppen und deren konkreten Bedürfnissen angesprochen, der Besuch von Erwachsenenbildungsveranstaltungen ist planlos in das Belieben des Einzelnen gestellt; Erwachsenenbildner werden in der Regel ohne andragogische Ausbildung, bzw. ohne den Nachweis andragogischer Befähigung eingesetzt.

Eine achte Fehlkonzeption ist die, daß man zwischen Erwachsenenbildung, sozialem Wandel und menschlichem Glück eine automatische Kausalbeziehung annimmt. Traditionelle Erwachsenenbildung hat es versäumt und versäumt es, deutlich zu sehen, daß auf der Grundlage einer sozialen Zielvorstellung Freiheit und Glück geplanter, organisierter und koordinierter Voraussetzungen bedürfen. Eine neunte Fehlkonzeption innerhalb der Erwachsenenbildung liegt darin, daß keine Ausbildungsgänge und -pläne für Erwachsenenbildner erarbeitet werden. Die Tatsache, daß dadurch dem Erwachsenenbildner keine spezifische Funktion zugewiesen wird, führt dazu, daß er die ihm objektiv zukommende soziale Rolle (Ausdehnung seiner Aktivitäten in die Praxis) nicht wahrnehmen kann. Sein Handeln beschränkt sich auf folgenlose Einzelveranstaltungen.

Eine zehnte liegt darin, daß die Erwachsenenbildung ihre Adressaten deskriptiv zu definieren versucht – d. h. nach Alter, „Reife“, Schulabschluß – anstatt funktional, d. h. gemäß ihrer jeweiligen Praxis (vgl. Zielgruppenbestimmung) Die deskriptive Definition vermag nicht das lernhemmende Rollenverständms („Fertigsein“) des Erwachsenen zu überwinden.

Eine elfte liegt in der Annahme, Reife lasse sich in Zeiteinheiten messen. Hinsichtlich des Reifengrades aber spielt der Faktor Zeit nur eine geringe Rolle. Der Begriff der Reife, wie er die traditionelle Erwachsenenbildung bestimmt, geht irrigerweise davon aus, daß eine ältere Person automatisch auch reifer sei als eine jüngere.

Dynamische Weiterbildung – Postulate

1. Die zukünftige Entwicklung unserer Gesellschaft – in sozialer, politischer, technologischer Hinsicht – hat einen nichtlinearen Charakter. Zukunftsprognosen können also nicht einfach nur Extrapolation von bereits feststellbaren Tendenzen sein, sondern sie müssen auch die Wahrscheinlichkeit von Sprüngen, Abweichungen, Verzögerungen etc. einbeziehen; Zukunftsplanung muß jeweils Alternativstrategien und -modelle entwickeln. – Das Konzept der Dynamischen Weiterbildung versucht dieser nichtlinearen Entwicklung Rechnung zu tragen.

2. Vorrangig erforderlich ist die Revision der traditionellen Erwachsenenbildungstheorien. Dynamische Weiterbildung versteht sich als Aktion.

– Forschungsergebnisse der Andragogik, der Erwachsenenpsychologie, der Motivationsforschung etc. müssen gesammelt und systematisiert werden.

– Weiterbildungsprogramme, Weiterbildungseinrichtungen und -träger, Gesetze und Gesetzesentwürfe zur Weiterbildung müssen analysiert werden.

– Der Stellenwert der Weiterbildung innerhalb des gesamten Bildungssystems und ihr Verhältnis zur Universität müssen reflektiert werden.

– Programme und Curricula der verschiedenen Weiterbildungs-„Fächer“ müssen konzipiert und erprobt werden; feed back, demokratische Kontrolle und Innovation müssen institutionell und rechtlich abgesichert werden.

– Forschungsergebnisse und Erfahrungsberichte müssen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene ausgetauscht werden; Kooperationsmodelle müssen entwickelt und getestet werden.

-Internationale Weiterbildungsprojekte müssen geplant und durchgeführt werden.

– „Clearing Centers“ auf den verschiedenen Ebenen sollen Koordinierung und Kooperation erleichtern.

3. Der Tätigkeitsbereich der Weiterbildung muß erweitert werden: Auf Wohnblocks, Stadtteile, Krankenhäuser, Altersheime, Gefängnisse, Obdachlosensiedlungen, Gastarbeitersiedlungen etc. Eine Art „Klientensystem“ soll die praktische Relevanz der Weiterbildungsarbeit gewährleisten: Weiterbildungseinrichtungen richten ihr Angebot an Individuen, Kleingruppen, Organisationen, Gemeinden und Kommunen (Zielgruppenarbeit). Die Möglichkeit der „Schulpflicht für Erwachsene5) muß ins Auge gefaßt werden:

4. Die Rolle und Funktion des Erwachsenenbildners muß im weitesten Sinne als politisch verstanden werden:

– als „change agent“: Der Erwachsenenbildner steht direkt in der Praxis, er initiiert und begleitet Veränderungen.

– als „Moderator sozialer Prozesse“: Der Erwachsenenbildner regt Lernprozesse an, beobachtet sie, strukturiert sie; er setzt Medien ein.

Die Ausbildung des Erwachsenenbildners muß praxis- und projektbezogen. Sein Studium vollzieht sich in einer Verschränkung von theoretischer und praktischer Arbeit. Integrativer Bestandteil der Praxis des Erwachsenenbildners sind Weiterbildungsphasen.

Dynamische Weiterbildung – Definition

Grünes Papier der Weiterbildung (grün seiner unsprünglichen Farbe wegen)

Die Qualität des Lebens kann verbessert werden durch:

Partizipation. – Der Schwerpunkt der bisherigen Erwachsenenbildung erschöpfte sich im Vermitteln von unkritischen Anpassungsfähigkeiten und Bemühen um ein besseres Verstehen der Gesellschaft. Die Überlebensprobleme des Einzelnen blieben bei dieser Form der Erwachsenenbildung weitgehend unbrücksichtigt. In der dynamischen Gesellschaft jedoch, in der die soziale Umformung, als Folgerung des technologischen und kulturellen Wandels, schwer zu lösende soziale Probleme verursachte, muß die neue Dynamische Weiterbildung jeden einzelnen zur aktiven Partizipation aufrufen.

Der Ruf kann den Einzelnen nur erreichen, wenn das Programm der Weiterbildung Relevanz zu seiner Umwelt hat. Weiterbildung als Handlungswissenschaft muß zu den gegenwärtigen und zukünftigen Problemen relevantes Wissen vermitteln. Sie geht aber über das Vermitteln des Wissens weit hinaus und strebt danach, den Einzelnen aus dem Bereich des Wissens in den Bereich der Aktion zu versetzen. Für diesen Zweck muß die Weiterbildung so definiert werden, daß die wichtigsten Bestandteile der Aufgabenbereiche der Dynamischen Weiterbildung berücksichtigt werden.

Dynamische Weiterbildung ist lebenslanges, systematisches und zur sozialen Umwelt relevantes Lernen, das auf die Problemlösung der individuellen und gesellschaftlichen Zukunft ausgerichtet ist, wofür eine aktive soziale und politische Partizipation an strukturellen Veränderungen der Gesellschaft Voraussetzung ist.

Kommentar zum Grünen Papier der Weiterbildung

Die traditionelle Erwachsenenbildung sah ihre Aufgabe hauptsächlich in der Vermittlung von Fakten- und Allgemeinwissen. Bis heute wendet sie sich lediglich an eine relativ „gebildete“ Mittelschicht. Dieser Mittelschicht bietet sie meistens nur die Möglichkeit, in ihrem Interessenbereich weiterzulernen. Allerdings hat sich in den letzten Jahren neben dieser Erwachsenenbildung einerseits eine berufsbezogene Weiterbildung etabliert, die jedoch meistens von privaten Unternehmern zur Heranbildung von Elitepersonal eingerichtet wird, andererseits eine berufsbezogene Fortbildung zur Schulung und Umschulung von Facharbeitern. Gesellschaftskritische, bzw. problem- und prozeßbezogene Weiterbildung wurde und wird nur in seltenen Fällen angestrebt. Dadurch entsteht ein systemkonformer Anpassungsbetrieb, der sich als Weiterbildung „legitimiert“. Diese Art von Welterbildung wurde auch nicht von der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit in Frage gestellt. Auch hier ging und geht es im allgemeinen lediglich um Vermittlung von Fakten und im günstigen Falle um Unterrichtung über die Rechte (z. B. nach dem BVG) der Adressaten.

In unserer hochtechnisierten industriellen Zeit reicht die Bildung Erwachsener im oben angedeuteten Sinne (siehe auch Seite 46: Fehlkonzeptionen) nicht mehr aus. Psychologen, Pädagogen und Futurologen weisen seit einigen Jahren immer öfter auf die steigende physische und psychische Belastung der Menschen hin. Sie gilt es zu bewältigen. Nicht nur Überspezialisierung und Technisierung machen es dem Einzelnen schwer, sich zurechtzufinden, auch Probleme, die nicht direkt mit seinem Arbeitsleben zu tun haben, aber indirekt von diesem Arbeitsleben mit determiniert werden, drängen immer heftiger auf ihn ein. Die wachsende Geschwindigkeit der Veränderungen und die explosionsartig entstehenden neuen Probleme sind sowohl in der Arbeits- als auch in der Freizeitwelt zu beobachten: der Einsatz neuer Maschinen erfordert die Umschulung des Personals, anwachsende Informationsmengen verlangen urteilsfähiges und kritisches Beobachten und Handeln.

Der Einzelne ist noch nicht darauf vorbereitet, mehrere Male in seinem Leben den Beruf zu wechseln, er ist kaum dazu in der Lage, die Argumentation seiner Interessenvertretungen und der politischen Parteien richtig zu beurteilen. Wenn man ihm nicht hilft und ihn nicht zur Selbsthilfe befähigt, werden ihn die Probleme überwältigen und zu einem von vielen unentwirrbaren Kräften manipulierten Wesen machen. Anpassungssysteme wie die traditionelle Erwachsenenbildung tragen nur dazu bei. Darum aber darf es der Weiterbildung nicht gehen. Wenn Weiterbildung überhaupt eine Aufgabe bekommen soll, so die, dem Einzelnen beim Bewältigen seiner Probleme zu helfen. Das kann sie aber nur, wenn ihre Programme Relevanz zu den realen Problemen der Erwachsenen, bzw. ihrer Zielgruppen, besitzen und somit ihre Mitarbeit erst ermöglichen. Das bedeutet, daß sich einerseits die Programme der Weiterbildung an den realen Verhältnissen zu orientieren haben, andererseits, daß die Weiterbildung fester Bestandteil im Leben eines jeden Erwachsenen wird. – Die Berufsbilder müssen so verändert oder gestaltet werden, daß Weiterbildung in ihnen selbstverständlicher Bestandteil ist. In diesem Sinne ist eines unserer Schlagwörter: „Schulpflicht für Erwachsene“ zu verstehen. Es bedeutet nicht, daß dem täglichen Arbeitsleben nun ein Schulpensum angefügt werden soll, es bedeutet, daß Weiterbildung (berufsbezogene und gesellschaftsbezogene) zu einer integrierten Phase des Berufslebens wird.

Diese Vorstellung wird nicht von heute auf morgen verwirklicht werden können (man denke nur an die Schwierigkeiten, die schon bei der Einführung des Bildungsurlaubs auftauchen!); Wirtschaft und Berufspädagogik werden Zeit brauchen, sich mit einer solchen Vorstellung auseinanderzusetzen. Aber so, wie die Erkenntnis, daß die herkömmliche Schulbildung nicht ausreichte, zum Neunten Schuljahr führte, muß auch die Erkenntnis der unzureichenden Bildung der Erwachsenen zur Schulpflicht für Erwachsene im angedeuteten Sinne führen. Wenn wir eine echte Demokratie mit emanzipierten Menschen und die Probleme der Zukunft bewältigen wollen, wird ihre Verwirklichung unumgänglich sein.

Demokratie bedeutet Aktion des Einzelnen: Deutliche Artikulation seiner berechtigen Interessen, Kritik an und Beseitigung von gesellschaftlichen Mißständen durch Solidarisierung und Selbstorganisation. Dazu müssen die Möglichkeiten geschaffen werden und die einzige Chance, die wir haben, diese Möglichkeiten tatsächlich zu schaffen, ist die Arbeit für ein dynamisches Weiterbildungssystem im geschilderten Sinne, welches sich durch seine Flexibilitat der sich ständig ändernden Realität kritisch anpaßt.

Dynamische Weiterbildung – Konzept

Partizipation: Problem- und prozeßbezogene Weiterbildung

Problem- und prozeßbezogene Weiterbildung sind nur analytisch zu trennen. Tatsächlich sind sie wesentliche Bestandteile der Dynamischen Weiterbildungen, die eng miteinander verbunden sind. Im Gegensatz zu der traditionellen Erwachsenenbildung, die ihre Probleme nicht aus dem konkreten Leben einzeln Zielgruppen, sondern aus wirklichkeitsfernen Idealvorstellungen ableitete und faktisch irrelevante Inhalte vermittelte, wird in der Dynamischen Weiterbildung Relevanz zur Wirklichkeit und flexible Anpassungsfähigkeit gefordert.

Für die problembezogene Weiterbildung bedeutet das, Probleme aus den konkreten Lebenssituationen einzelner Zielgruppen zu erkennen und in gemeinsamer Arbeit mit den Betroffenen zu lösen.

Dazu ist eine sinnvolle Wahl der, Mittel vonnöten, die zur Überwindung der Probleme dienen sollen. Diese Wahl muß der Problemerkenntnis direkt folgen. In den meisten Fällen bedeutet das Sammeln von Daten, die für das jeweilige Problem relevant sind und eine Problemanalyse möglich machen. Auf diese Art und Weise erhält der Erwachsene die Möglichkeit, sich die Dimensionen seines Lebens transparent zu machen und sie dann selbst zu gestalten. Die sinnvolle Verwendung der gefundenen Daten in konkreten Fällen, ihre Einordnung in den Gesamtlebenszusammenhang der. Betroffenen, ermöglichen eine Dynamische Weiterbildung, die nicht am Rande gesellschaftlicher Entwicklungen steht, sondern direkt in sie eingreift, sie initiieren und kontrollieren hilft.

Die Probleme, an denen sich die Arbeit der problembezogenen Weiterbildung orientiert, sind in den Rollen, die einzelne Gruppen in der Gesellschaft haben, zu suchen. Wenn man die Probleme, des Arbeiters als solche auffaßt und ihn nicht, wie bislang üblich, mit Angeboten, die seiner gesellschaftlichen Rolle wesensfremd sind, konfrontiert, kann man erreichen, daß er aus einem unbewußten, manipulierten Status in ein bewußtes und kritisches Verhalten übertritt. So ist jede Gruppe mit den sie angehenden Problemen konfrontiert und stellt sich darüber hinaus bewußt in den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang.

Am konkreten Beispiel könnte man diese Form der Dynamischen Weiterbildung folgendermaßen andeuten: Das Problem einer Siedlungsgemeinschaft ist ein fehlender Kinderspielplatz. Hier setzt die problembezogene Weiterbildung ein, indem sie Erwachsenenbildner zunächst als Berater in die Zielgruppe schickt. Sie leisten zusammen mit den Betroffenen eine Analyse des Problems und suchen die möglichen Wege zu seiner Überwindung. Durch Initiative der Gruppe wird z.B. eine Anfrage bei den entsprechenden öffentlichen Gremien zusammen mit erarbeiteten Lösungsvorschlägen eingebracht und so der Versuch gemacht, auf das Problem aufmerksam zu machen. Die folgenden Aktionen sind von den Reaktionen der Gremien abhängig und müssen zur Selbsthilfe führen wenn von den öffentlichen Institutionen keine Maßnahmen erfolgen. Wie diese Selbsthilfe aussieht, ist. nach den Verhältnissen unterschiedlich. Selbständige Herrichtung eines öffentlichen Geländes wäre eine Möglichkeit.

Hat also die problembezogene Arbeit der Dynamischen Weiterbildung „therapeutischen“ Charakter, so geht es der prozeßbezogenen um „präventive“ Maßnahmen, d. h. um die Vermittlung von Flexibilität. Die traditionelle Erwachsenenbildung, die sich auf den Bereich der Wissensvermittlung beschränkte, soll verlagert werden in den Bereich der Aktion. Das bedeutet, daß Dynamische Weiterbildung selbst schon Aktion sein muß. An Beispielen des täglichen Lebens der Betroffenen hat sie die Notwendigkeit von Flexibilität aufzuzeigen und sich selbst flexibel nach den Interessen und Problemen der Klienten auszurichten. In der Behandlung konkreter Beispiele vermittelt sie sinnvolle Lernmethoden und die Einsicht in die Notwendigkeit, flexibel weiterzulernen. Ihr Ziel ist es, den Einzelnen aus dem Zustand des trägen Verharrens in einer beruflichen, gesellschaftlichen oder anderen Position in den des sinnvollen Reagierens auf die verschiedenen Möglichkeiten, die ihm in seiner Situation gegeben sind und sein können, zu versetzen. Damit erleichtert sie mögliche und nötige Berufswechsel, verringert die Gefahr des Zukunftsschocks und befähigt zur kritischen Anpassung an sich ändernde Verhältnisse.

Konkret bedeutet das, daß die Erwachsenen befähigt werden, ad hoc-Modelle für plötzlich auftretende Probleme, etwa zur Vermeidung des Umweltschmutzes, aufzustellen. Diese Modelle sind für viele Situationen denkbar und notwendig, z.B. für Konsumentenprobleme, Elternfragen, Wohnfragen etc. Die Arbeit der Dynamischen Weiterbildung hat sich deshalb nicht nur in der Theorie zu bewegen, sondern vor allem in der Praxis zu bewähren. Studien- und Aktionskreise werden gebildet und gehen in ihrer Programmplanung aus von konkreten Problemen. Von ihnen her gewinnen sie ihre Legitimation und werden überflüssig, sobald die Probleme beseitigt sind. In der Partizipation finden problem- und prozeßbezogene Weiterbildung ihre übergreifende Form.

Damit der Gesamtzusammenhang des gesellschaftlichen Lebens aber nicht aus dem Blickfeld des Erwachsenen gerät und der Einzelne nicht nur um seinen Stellenwert innerhalb der kleinen Gruppe weiß, sind Zentralstellen („Clearing Centers“) für alle Studien- und Aktionskreise einzurichten, die relevante Informationen liefern und die Koordination und Kooperation der einzelnen Kreise leiten.

Partizipationstraining

Partizipation im geschilderten Sinne kann nicht ohne permanentes Partizipationstraining funktionieren. Dieses Training hat sinnvolle Arten der Zusammenarbeit Erwachsener theoretisch und praktisch durchzuführen. Das Theoretische zur Partizipation wird in Unterrichtseinheiten an entsprechenden lnstituionen erarbeitet. Dieser Unterricht muß theoretische Kenntnisse über mögliche Praktiken zur Bewältigung von Problemen und die der Dynamischen Weiterbildung zugrundeliegende Theorie vermitteln.

Unterrichtsthemen müssen sein:

– Abbau von Kommunikationsschwierigkeiten

– Diagnoseverfahren (Problemerkennen)

– Programmplanung und Problemlösungsmodelle

– Technik der Aktion

– Gesetzestexte und ihre zweckmäßige Anwendung; Kompetenzverteilung innerhalb der Instanzen

Dieser Unterricht soll eng mit der Praxis verbunden durchgeführt werden. Das bedeutet, daß die Theorie an konkreten Fällen, die von der Zentralstelle für das Aktions- und Studienkreise („Clearing Center“) zusammengestellt werden erläutert und darüberhinaus in der Praxis erprobt und verbessert wird. Ein Seminar für Partizipationstraining findet also nicht nur in den dafür vorgesehenen Räumen der Weiterbildungsinstitutionen statt, sondern wendet seine theoretischen Erkenntnisse unmittelbar in konkreten, Fällen an. Diese ständige Vermittlung mit der Praxis kann z. B. in Strafanstalten, Altersheimen, Krankenhäusern oder Obdachlosensiedlungen stattfinden und so sinnvoll in den sozialen Entwicklungsprozeß eingeschaltet werden. Nach dieser Erprobung von Praktiken und Theorien ist dann ein feed back nötig, das Fehler aufdeckt und zur Verbesserung folgender Seminare beiträgt.

Adressaten dieses Partizipationstrainings, das an Universitäten, Weiterbildungseinrichtungen oder neu zu schaffenden Partizipationstrainings-Zentren stattfinden kann, sind aber nicht nur die Klienten der Dynamischen Weiterbildung, sondern auch und gerade die Erwachsenenbildner selbst. Ihre Ausbildung hat in diesen Partizipationstrainings-Seminaren zu geschehen. Dadurch wird die bislang übliche Sterilität des Theoriestudiums überwunden und eine praxisnahe Ausbildung erreicht. In dieser Form der Erwachsenenbildnerausbildung sehen wir einen wichtigen Ansatzpunkt für die Möglichkeit, die Dynamische Weiterbildung in der gegenwärtigen Situation realiter einzuleiten. Könnte man sich auf ein Ausbildungsprogramm für Erwachsenenbildner einigen, das Partizipationstraining als wesentlichen Bestandteil aufnimmt, so wird es für eine künftige Generation von Erwachsenenbildnern selbstverständlich sein, ihre Arbeit aus dem Bereich der Wissenvermittlung in den Bereich der Aktion zu versetzen. In der konkreten Zusammenarbeit mit den Betroffenen schon in der Ausbildung wird dann eine Praxisnähe erreicht, die in der Zukunft zu einem völlig neuen Selbstverständnis der Weiterbildungsinstitutionen führen muß. Diese wären dann keine systemkonformen Anpassungsbetriebe mehr, sondern Einrichtungen zur Verwirklichung kritischer Demokratie.

Zusammenfassung

Zusammenfassend kann unser Anliegen so beschrieben werden:

In deutlicher Abhebung gegen die technisch-mechanistische Bewältigung der Zukunft, die den Menschen als Mittel zum Zweck, als Werkzeug oder Maschine betrachtet und ihm höchstens im sogenannten Privaten Bereich einen eigenen Willen läßt, haben wir einen Fortschritt nur dann als sinnvoll bezeichnet, wenn er die Behinderung persönlicher Freiheit, Urteilsfähigkeit und Initiative beseitigt. Nur dann, meinen wir, ist echter Fortschritt überhaupt möglich.

Wenn die Grundsätze der Demokratien nicht leere Phrasen bleiben, die Klassengegensätze sich nicht weiter verfestigen, alle Menschen ein körperlich und geistig befriedigendes Leben erreichen sollen, dann brauchen wir ein Bildungssystem, das für jeden Einzelnen die Voraussetzungen zur Emanzipation bietet. Manipulationen müssen durchschaut und gesellschaftliche Prozesse kontrollierbar werden. Solange die steuernde Oberschicht in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft die sozialen Gegensätze übersieht oder gar bewußt vertuscht und eine Sprache spricht, die nicht einmal die Hälfte des Volkes versteht, solange kann es keine urteilsfähige und initiativfreudige, d. h. demokratische Gesellschaft geben. Wir müssen erreichen, daß der Einzelne sich nicht nur um die Vorgänge in „seinen eigenen vier Wänden“ sorgt, sondern um alle ihn berührenden sozialen Prozesse.

Heute ist es üblich, die Urteilsfähigkeit und Initiative des Einzelnen zu drosseln, ihn manipulierbar zu konservieren. Daß man damit keine freie Willensbildung schaffen kann, ist völlig klar. Man pflegt nicht an die Vernunft, sondern an die manipulierten Bedürfnisse zu appellieren; der Grundsatz „Die Welt will betrogen werden“ scheint noch immer, wenn auch unausgesprochen, gültig zu sein. Gegen diesen Satz aber wenden wir uns. Wir fordern ein Bildungssystem, das die Interessen der gesellschaftlichen Gruppen aufdeckt und die Urteilsfähigkeit und Initiative des Einzelnen ausbildet. Nur damit haben wir eine Chance, die Probleme der Zukunft demokratisch zu bewältigen.

Die Dynamische Weiterbildung hat in diesem System eine wichtige Aufgabe. Sie soll der längst nicht mehr bestreitbaren Notwendigkeit lebenslangen Lernens Rechnung tragen und z. B. auch durch die Schaffung eines neuen Berufsbildes Bestandteil im täglichen Leben eines jeden Erwachsenen werden. Sie soll aber auch einsichtig machen, daß es für jeden Einzelnen in der Zukunft notwendig sein wird, auf viele persönliche Freiheiten, Vorteile und Bequemlichkeiten zu verzichten, damit die Gesellschaft bestehen und die Demokratie funktionieren kann.

1) Siehe S. 49.

2) Siehe auch S. 49: Grünes Papier der Weiterbildung.

3) Siehe Alvin Toffler, Der Zukunftsschock. München 1970.

4) Eine von uns an Erwachsenenbildungsinstitutionen durchgeführte Umfrage weist aus, daß zwar 65 Prozent der Befragten die angedeutete Entwicklung für sehr wahrscheinlich halten, daß aber nur 12 Prozent sich persönlich davon bedroht fühlen.

5) Siehe S. 49: Kommentar zum Grünen Papier der Weiterbildung.