Leseprobe – Haus aus Zeit

Ahnungen des Lichts

Wie die Erde den Nebel atmet, der
sanft die weichen Gebirge umhüllt,
luftig in meinem Kopf verborgen.
Wie wütendes Feuer die Gebirgszüge der Imagination
verbrennt, die Schrecken des Albtraums, die Ohnmacht, und
nur noch züngelndes Gelb übrigbleibt.
Wie ein tonloser Schrei das Meer der
Flammen durchschneidet.
Wie klares Wasser die Asche der Gebirgsmassive fortspült,
mystisch vor der Geburt wurzelnd.
Wie die Nacht vom schwarz verschleierten Dämon
zur barmherzigen Mutter wird.
Wie der Tag die Obsessionen der Nacht tilgt
und ihren Trost.
Wie alles ohne Gesetz und ohne Zahl
ineinanderfließt, die Magie der Nacht,
von Tag zu Tag.

Der steinerne Koloß, vertraut und gehaßt,
steht vor der Dunkelheit,
vor den Sternen,
den funkelnden Perlen auf schwarzem Samt.
Deren Glanz sich spiegelt
im trunkenen Flimmer greller
Prostitution,
in den irrlichternden
Glühfadentümpeln der petrochemischen Industrie. –
Die Nacht ist die Zeit der Trinker,
der bedrohlichen Aggression,
der dionysischen Ekstase. –
Nach der Dämmerung
fahren die Bauern ihre Ernte ein,
gedankenlos und rücksichtslos.
Tun ihr erdiges Geschäft unter wahnwitzigen Sendetürmen
für Radio und Fernsehen. Die Kameraden
sind aus jener anderen Welt:
Unterschlupf grausamer Katzenmörder.
Körpermenschen und Kuhmelker mit glitschigen Händen.
Nichts als Fleisch und Blut
und Speichel,
Schleim und Sperma,
Körpersäfte.
Aus jener anderen Welt,
die sonntags manchmal Ruhe gibt,
nach Holunderblüten und nach
Kartoffelkraut riecht,
nach Silo schmeckt.
Holunderblüten, untermischt
mit Hagebutten,
aus denen man
Juckpulver gewinnt.
Sie anzufassen,
die Kameraden,
bedeutet die eklige Haut
zu berühren, die schlammige Membran
über der gekochten Milch.
In den tiefen, dämmrigen Küchen
bezaubert die Melancholie, der sonntägliche Frieden,
dessen Verbündeter ich bin.
Es gibt keine Stimmen mehr,
keinen Atem.
Und während das Auge die Pastellfarben hütet,
wächst seine Iris
und wächst,
wird zum Krater des widerlichen Kuhauges aus dem Schlachthof,
und dann
zersprengt es den Kopf
der schwerelos zum Summen im Bienenhaus mutiert.

Ausgefahrene Rinnen im Hohlweg,
und in der Mitte das schamhafte Gras.
Am Himmel das bedrückende Blau.
Hoch oben, das Flugzeug,
sendet Blitze und Schrecken und Wahnsinn.
Das Kornfeld mit den blauen Blumen,
den prallen Ähren,
ein Labyrinth, das furchenscharfe Grenzen zieht.
Die Rinne hinunterzurennen
und wieder hinauf,
das blutige Blattgrün auf den Knien zu wissen –
die klumpigen, verkrusteten Kolosse von Lederschuhen –
Schmerzen zusammenzuklauben
und zu schreien, zu schreien mit der
kindlichen Stimme, der man nichts glaubt.
Ohnmacht. Paranoia:
Daß sie fort sein möge, die andere Welt.
Jene andere Welt.

Das metallische Singen,
das Rattern und Sägen,
das stinkende Stampfen,
die Dieselzylinder
und Stahlgewinde,
die klatschenden Riemen
und klebrigen Krampen,
die singenden Sägen,
eisernes Rattern,
Reiz der Gefahr,
Industriefette.
Unfälle zwischen Transmissionen:
Erbärmliches Scheitern,
Hautfetzen pendeln an Harzfäden,
Borke im schmalzigen Haar,
die gehaßten,
die endlosen,
die animalischen,
die schweißgetränkten Nachmittage.
Wenn die Männer in jede Ecke
pissen,
wo die gelbe Pisse sich mit dem Altöl mischt
und bizarre Schlieren bildet.
Violett.

In den Fünfzigern:
Wenn Frankreich mitspielt,
ja, wenn es sich verbündet,
mit uns,
mit dem naziverseuchten Deutschland,
wenn Frankreich mitspielt,
ja, wenn wir es auf unserer Seite haben,
wenn wir gemeinsam marschieren,
ja, wenn wir gemeinsame Feinde haben,
wenn sich klare Verhältnisse herausschälen,
wenn Frankreich mitspielt,
ja, dann ist es entschieden:
dann sind wir wieder die Stärksten.
Sollste mal sehn.

Wandernde Gesellen,
die ihre Oberhemden dalassen,
ungewaschen,
und einfach irgendeines vom Vater
oder von jemand anders,
irgendeines
mitnehmen.
Die auf dem Heuboden schlafen,
im Stroh bei den Ratten,
und tagsüber

jede Arbeit tun,
um abends herumzustrolchen. Und
sich nichts abgewinnen lassen,
schweigsam sind,
nur von ihren Brüdern erzählen,
die seßhaft wurden,
die sie besuchen möchten,
aber nicht hineinfinden in die Stadt,
in die Straße,
lieber zehnmal drumrum stromern,
um die Stadt, um die Straße,
ruhelos. Und
die irgendwann mitten in der Nacht
wieder unter ihre Strohsäcke kriechen,
zu den Ratten, mitten in das Gewöll der Käuze und Uhus. –
Dann sind sie eines Morgens fort,
mit dem anderen Oberhemd
vom Vater oder von jemand anders.
Ich kann vor Aufregung kaum stillstehn,
als ich es anziehn darf,
das Hemd,
grün,
vom Wandergesellen.
Dann entdecke ich,
mit seinem grünen Hemd bekleidet,
daß er einen Ziegel herausgenommen hat,
um nachts
vom Boden aus
vor dem Einschlafen •
oder wenn er aufwacht
oder wenn er absichtlich wach liegt
oder unabsichtlich,
um nachts den Mond sehen zu können,
die Sterne,
den galoppierenden Himmel.