Leseprobe – Das Komplott

Wenn nichts anderes sonst, so hätte mir allein dieser schmutzige Verrat angezeigt, wo ich mich nun wieder befand, nämlich in den Niederungen des Schönen-Bösen-Falschen, im Herzen des Zwiespalts, in der Erfolgsgesellschaft.
Botho Strauß: Der junge Mann.

»Und ich sage dir, es ist städtebaulicher Blödsinn«, die korpulente Dame bemühte sich, ihren beachtlichen Busen noch weiter auf die Theke zu stemmen und dem Wirt so nahe wie möglich zu rücken. Der machte einen vorsichtigen Schritt rückwärts, von der prallen Fülle weg. Hinter der trostlosen Hornbrille mit den dicken Gläsern hatten seine kurzsichtigen, grauen Froschaugen über die Jahre auch den letzten schwachen Glanz verloren. »Tja, mach was«, seine trüben Blicke musterten den Ausschöpfungsgrad der Kölsch-Gläser auf der Theke, »noch eins, Günter?« Er trat an die blankgeputzte Zapfanlage und ließ Obergäriges in eine Kölsch-Stange strullen. »Damals waren die Grundstücke hier noch billig, Trude«, sagte er und sah mißmutig an der korpulenten Frau vorbei in die Vergangenheit. –
Wenn du lachst, bricht nochmal die ganze Kneipe zusammen. Warum lachst du eigentlich immer so laut? Da steht ja fast Vergnügungssteuer drauf.« – »Ach, was soll’s! Manchmal hilft lachen. Je lauter, desto besser.« Heinz Suntorp japste erschöpft und sank in seinem Stuhl zusammen. Die leere Kölsch-Stange drehte er in der Hand. – »Komm, Paul, bring uns noch zwei. Ist viel zu wenig drin in diesen kleinen Dingern.« – »Dafür bleibt es frisch. Oder willste lieber labberiges Kölsch trinken?« Blanke blaue Augen blitzten jungenhaft im Gesicht des Zechkumpanen. – »Komm, Architekt, erklär’ Trude doch mal die Sache mit der Städtebauplanung. Du baust sie doch alle, die Häuser am Stadtrand, oder?« –
Die Dicke wandte sich mühsam keuchend auf dem Thekenhocker um. »Ach wat! Helmut, der kann doch nix dafür. Dat machen doch diese Sackratten im Rathaus. Ganz alleine. Wissen wer doch.« – Suntorp lachte wieder, zuerst glucksend, als habe er sich verschluckt, dann kantig und laut. »Glaubst du, Trude. Glaubst du. Kuck ihn dir doch mal an, seinen neuen BMW und den Kugelbauch. Früher ’ne Baugrube, heute ’n Bungalow, was?« Er strich dem Architekten über die beachtliche Wampe. Dessen Gesichtsausdruck changierte zwischen Lachen und Ärger. Schließlich siegte der Ärger. Er stellte sein Glas mit einem Knall auf den Tisch. » Was soll das Heinz«, seine Augen hatten auf einmal einen feindseligen Glanz, »willst du mich beleidigen oder wollen wir uns besaufen? Du wolltest doch einen schlucken gehn, nicht ich.« – Suntorp richtete sich seufzend in seinem Stuhl auf. »Ach, laß gut sein, Helmut «, sagte er und klopfte dem anderen schlaff auf die Fettschulter, »ich rede Scheiße. Tut mir leid. Natürlich wollen wir uns besaufen. Was sonst.« –
Paul brachte reglosen Angesichts die frischen Kölsch. »Fangt bloß nicht mit der Politik an«, brummte er, »alles, aber nicht Politik. « – » Wieso denn«, Trude gestikulierte so lebhaft, daß ihr Kleid, in das sie wie in eine Wurstpelle eingezwängt war, jeden Moment zu platzen drohte, »dat is die Lobby, Paul. Die machen dat. Die Lobby. Un dabei isset gar nich so schön direkt am Rhein. Stinken tut et da inzwischen. Vor allem bei Niedrigwasser.« – »Ja, ja, stinken, richtig. Es stinkt überall. Prost Helmut«, Suntorp versank wieder in seinem Stuhl, Kummer und Gram traten auf seine Gesichtszüge, »komm, Paul, gib Trude ’n Weinbrand. Auf meine Rechnung. Prost Trude, auf die Lobby und auf den Gestank. « –
Der Architekt hatte seinen Ärger vergessen. » Mein Gott, Heinz, du mußt ja echt Stunk gehabt haben heute. Mal wieder vom Chef gedeckelt worden, was?« – »Ach was, gedeckelt! Das zu ertragen wäre eine meiner leichtesten Übungen. Nein, nein. Es gibt mal wieder Umorganisation bei uns. Da wirste nicht gefragt, da haste einfach mitzuspielen. Quatsch, sage ich dir. Haste schon mal was von Umschulung und Weiterbildung im Betrieb gehört? Dafür soll ich demnächst die Programme machen. Einfach mal eben so, verstehste? Einfach mal eben so, weil die Herren in Vorstand und Geschäftsführung das beschlossen haben. Egal, ob’s jemand bestellt hat oder nicht. Kein einer weiß, ob wir’s überhaupt brauchen. – Das stinkt mir, Helmut, stinkt mir mächtig.« –
Helmut schüttelte den Kopf. » Versteh’ ich nicht«, er zuckte die Schultern und nahm einen Schluck Kölsch, »ist doch ein Job so gut wie jeder andere bei euch. Solange die Kasse stimmt.« – »Ja, ja, mag schon sein. Wahrscheinlich hast du recht. – Komm, laß uns von was andrem reden. Wie geht’s überhaupt deiner Frau?« –
Trude goß sich den Weinbrand in ihre Cola. »Mußte mal wieder nachschwärzen«, witzelte der Wirt, ohne auch nur einen einzigen Gesichtsmuskel zu verziehen. – »Na los, dann gib’ mal ‘ne neue Cola.« – Paul schenkte ein frisches Glas ein und beugte sich zu der Dicken hinüber. »Ich war damals bei der Vermessung. Da konnte ich mir nix aussuchen. Mich habense hin und her geschoben, das glaubste aber. Hat mir lange gestunken, sag’ ich dir. Mehr als zwanzig Jahre mit der rotweißen Latte durch die Pläne. Den Ingenieuren nach der Pfeife tanzen. Heinz hat’s gut. Der pfeift selbst. Und trotzdem sauer. Is’ schon komisch, was? – Ich hab’ dann die Rente durchgekriegt, wegen meinem Rheuma. Berufsunfähigkeit mußten sie mir bescheinigen. Und jetzt diese Kneipe. Auch nicht die Erfüllung, Trude, glaub’ man nicht. Aber im Warmen und nicht inne Pläne. – Ich hab’ jetzt ‘n Koch, ab nächste Woche. Will mich vergrößern, richtig als Restaurant, verstehste? Und später auch ein paar Hotelzimmer mehr. Jetzt, wo hier soviel gebaut wird, gibt’s auch mehr Verkehr, mehr Betrieb. Vertreter und so. Das lohnt sich.«
Trotz der langen Rede war die Miene des Wirts unbewegt geblieben, der Tonfall allerdings hatte etwas Verschwörerisches angenommen. Hinter den Gläsern im Kassengestell schien weit entfernt sogar ein blasser Funke zu glimmen. Er verlosch augenblicklich: ein Zecher verlangte lautstark nach einem Kabänes. – »Trotzdem isset städtebaulich gesehen Blödsinn«, beharrte Trude, und ein wässriger Ernst stieg ihr in die Augen, »Köln is groß, noch viel größer. Warum bauen se dann grade hier? Kannste mir dat verzählen?« –
Ein violettes Band – von Laternen in regelmäßigen Abständen mehr verfremdet als beleuchtet – zog sich die Teerstraße zwischen schlafenden Häusern hin. »Die Stadtreklame Köln stellt mal wieder neue Vitrinen auf«, mokierte sich Suntorp, »wozu bloß, frage ich dich. Nutzen die doch nur zur Eigenwerbung. Haben wahrscheinlich zuviel Geld. Und wir bezahlen zuletzt. Wie immer. Sag’ ich dir!« – »Ja, vielleicht. – Ist noch gar nicht so lange her, seit ich hier das letzte Mal durchgekommen bin. Da standen hier noch keine Vitrinen. Aber inzwischen stehen überall in der Stadt welche, an allen größeren Straßen, nicht nur hier«, der Architekt faßte den schlaksigen Traumtänzer unter. »Du wohnst hier in Sürth jetzt auch schon ein paar Jährchen, nicht? – Tja, gar nicht schlecht. Aber meine Gegend wär’s trotzdem nicht. Ich brauch’ die Domluft, weißt du. – Komm, laß uns in’s Bootshaus gehen. Die haben sicher noch auf.« –
»Das sind heilige Worte, heilige Worte sind das«, Suntorp lallte betrunken und lachte wie ein hohler Eimer, »klar haben die noch auf. Sei vorsichtig, der Laden wird von ehemaligen Boxern betrieben. Die hauen dir die Nase platt, wenn du nicht bezahlst.« – » Wieso, ich denke, du bezahlst heute Abend, oder nicht? Jedenfalls fühle ich mich eingeladen.« – »Klar, eingeladen, sowieso. Warum haste eigentlich Gunda nicht mitgebracht? Hast du Angst, daß ich sie dir ausspanne? Oder warum hast du sie nicht mitgebracht?« – »Komm, komm, ’n Auge hattest du zwar schon immer auf sie. Aber schließlich ist sie immer noch meine Frau. So weit geht die Freundschaft nicht, mein Lieber. Außerdem hättest du in deiner Verfassung heute Abend nicht die geringste Chance.« – »Sag’ das nicht, sag’ das nicht. Erinnere dich an unsere Kegelfete, da war sie mir nicht übel zugetan.« – »Reine Nächstenliebe, mein Alter. Irgendjemand mußte ja aufpassen, daß du dir nicht in die Hose pißtest. – Du bist mir schon so einer. Wie ‘n Walfisch: Ganzen Tag im Tran und die größte Kraft im Schwanz.«
Zu Suntorps dreckiger Lache blubberte der Rhein Plastikflaschen, Holzreste und undefinierbaren Unrat ans Ufer. Ein käsiger Mond versuchte sich schaukelnd im stahlblauen Wasserbett zu suhlen. – >Gereons Kölsch< strahlte aus Neonröhren in hundert Meter Entfernung. »Wenn die sich doch verdammtnochmal endlich ’ne genießbare Marke zulegen würden«, grummelte Suntorp. Der Architekt hatte ihn inzwischen fest im Taillen-Haltegriff. »Mein lieber Schwan, du bist ja nicht nur lang, du bist auch noch schwer«, stöhnte er ölig, »widerspricht allen physikalischen Gesetzen: je weiter wir gehen, desto schwerer wirst du.« – »Ach, du bist ein Täubchen. Wenn ich dich nicht hätte«, Suntorp versuchte seinem Kumpan die unter einem struppigen Vollbart verborgenen Backen zu tätscheln, was dieser durch ruckartige Bewegungen des Kopfes mühsam verhindern konnte, »ein Täubchen aus dem Lande Patmos, wo der große Hölderlin menschlichen Großmut und männliche Ehre ansiedelte.« – »Hast du jetzt etwa deine poetische Ader? Komisch, ich werde immer nüchterner.« –
Die Schritte auf dem schwach befunzelten Leinpfad hallten über den Beton. Eine lärmende Gesellschaft kam ihnen entgegen und übertönte die Unterhaltung der beiden Zecher. »Hat das Bootshaus noch auf oder haben sie nur vergessen, die Reklame auszuschalten? « – »Nein, nein, keine Sorge, die lassen euch noch rein. Die haben nämlich soviel Bier, daß sie es verkaufen müssen.« –
»Der Alkohol ist eine milde Geste der Schöpfung, ein gütiger Lidschlag des Schutzengels«, Suntorps Lachen endete diesmal mit einem bellenden Hustenanfall. Der Architekt ließ seine Taille los, um den Wankenden vor sich her über einen wackeligen Steg zu schieben, der in eine Plattform mündete, auf welcher das famose Bootshaus stand. Die Rheinwellen schmatzten und leckten um seine schwimmenden Fundamente. Laute Stimmen einer von Spirituosen inspirierten, fidelen Gesellschaft drangen nach draußen. – »Hier sind wir richtig«, konstatierte Suntorp taumelnd, »Schlipszwang wird’s hier ja wohl nicht geben.« – Flinker als man es seiner Körperfülle zugetraut hätte, hielt der Architekt den schwankenden Freund auf, der sich anschickte, beschleunigten Schrittes geradewegs auf die Reling zuzusteuern und in den Rhein zu stürzen. »Paß’ auf«, warnte ihn Helmut, »gleich liegst du unten.« – »Ach was«, Suntorp wehrte des Architekten fürsorgliche Hände ab, »Laß’ mich, ich muß kotzen.«