Nicht brav und nicht konform

Die Friedrich-Naumann-Stiftung hat 1983/84 ein Projekt unter dem Titel „Schüler- und Jugendzeitungen“ durchgeführt.

Dieser allgemeine Titel wurde gewählt, weil die Fragestellungen des Projektes keine konkretere Formulierung zuließen. Bisher gibt es wenige Untersuchungen in diesem Bereich. Außerdem konnten die Vermutungen, die in den Fragestellungen des Projektes zum Ausdruck kommen, nicht von vornherein als erweisbar gelten. Im einzelnen wurden die Arbeiten unter folgende Fragen gestellt:

1. Wie ist das Kreativitätspotential, das sich aus dem spezifischen Ansatz von Schüler- und Jugendzeitungen ergibt, im einzelnen zu bestimmen?

2. Welche Bedeutung haben die kommentierenden Stilformen, die unter dem Stichwort „subjektiver Journalismus“ zusammengefaßt werden können, für Schüler- und Jugendzeitungen?

3. Inwiefern sind bildliche Darstellungen in Form von Comics von besonderer Bedeutung für Schüler- und Jugendzeitungen? Die Ausgangshypothesen zu diesen drei Fragestellungen wurden folgendermaßen formuliert:

Zu Frage 1:

Schüler- und Jugendzeitungen zeichnen sich insbesondere dadurch aus, daß die jungen Redakteurinnen und Redakteure ihr kreatives Engagement in nahezu alle Beiträge einbringen. Im Gegensatz zu professionellen Journalisten achten sie nicht so sehr auf die Regeln der journalistischen Darstellungsformen. Dies ist aus Sicht der Arbeitsgruppe keineswegs negativ zu beurteilen. Vielmehr liegt auch hierin die Chance, Jugendliche in ihrer spezifischen Sprache und in ihrem spezifischen Lebensgefühl anzusprechen. Deshalb soll untersucht werden, inwieweit diese Form der Aussage eine besondere Qualität bei Schüler- und Jugendzeitungen ausmacht.

Zu Frage 2:

Es ist zu beobachten, daß die meisten Artikel m Schüler- und Jugendzeitung der subjektiven Betroffenheit der Verfasser basieren. Daraus ergeben sich in aller Regel kommentierende

Stilformen, die weniger den Informationsgehalt, sondern mehr die Meinung der Verfasser in den Vordergrund stellen. Folge davon ist, daß die Einstellung Jugendlicher zu vielen Themen daraus sehr deutlich abzulesen ist. Es kann die zu untersuchende These gewagt werden, daß Schüler- und Jugendzeitungen nicht zuletzt wegen der oben dargestellten Inhalte ihre Attraktivität bei den Zielgruppen gewinnen.

Zu Frage 3:

Bei der Durchsicht von Schüler-und Jugendzeitungen ist leicht festzustellen, daß hier im besonderen Maße das Stilmittel der Comics verwandt wird. Diese Feststellung deckt sich weitgehend mit der bei Jugendlichen ohnehin weit verbreiteten Attraktivität bildlicher beziehungsweise graphischer Darstellungen. Bisher gab es keinerlei systematische Untersuchungen bezogen auf dieses Sachgebiet. Es scheint der Friedrich-Naumann-Stiftung deshalb sinnvoll, diesen Bereich zu untersuchen und darüber hinaus Anregungen für die „Macher“ von Schüler- und Jugendzeitungen zu entwickeln, die ihnen den Einsatz von Comics erleichtern.

Die beiden ersten Hypothesen, die im Laufe der fortschreitenden Arbeiten zusammengefaßt wurden, ließen sich durch die verschiedenen Teile der Untersuchung stringent nachweisen. Die dritte Hypothese allerdings konnte durch die Fragebogenergebnisse, aber auch durch die Analyse von Zeitungen und durch das Ergebnis eines dazu angefertigten Gutachtens nicht bestätigt werden. Bei der Zeitungsanalyse haben wir uns lediglich auf nichtkommerzielle Schüler- und Jugendzeitungen bezogen. Es ist in einem Gutachten auch ein Vergleich zur professionellen Jugendpresse dargestellt worden. Darüber allerdings gibt es hinreichend Literatur, so daß wir diesen Ansatz nicht weiter vertieft haben. Außerdem ist lediglich bei den nichtkommerziellen Schüler- und Jugendzeitungen die in den Ausgangshypothesen beschriebene Form des jugendlichen Journalismus zu finden.

Die Aufarbeitung der zu diesem Gebiet vorhandenen Literatur (s. Literaturliste) ergab, daß zwar eine Fülle von Büchern greifbar ist, daß aber bisher keine zusammenhängende Untersuchung vorliegt, die mit den unterschiedlichen methodischen Ansätzen, die wir gewählt haben, auf ähnliche Ergebnisse zielt.

Parallel zu diesem Projekt führte die Friedrich-Naumann-Stiftung 1983 und 1984 Seminare für die Zielgruppe Schüler- und Jugendzeitungsredakteure und -redakteurinnen durch.

Diese Seminare, die in dieser Form bereits seit 1976 angeboten werden, lieferten den Erfahrungshintergrund für das Projekt.

Ein detaillierter Bericht über die Arbeit in den Seminaren ist Teil dieser Publikation. Sehr wichtig war für die Friedrich-Naumann-Stiftung, daß die Ergebnisse des Projektes auch für die Seminare neue Möglichkeiten eröffnen. Durch die personelle Verzahnung – vier Seminarleiter der Schülerzeitungsseminare waren gleichzeitig Mitglieder in der Arbeitsgruppe, die das Projekt erarbeitet hat – ließ sich das Ergebnis des Projektes ohne Schwierigkeiten in die Bearbeitung der Seminare überführen.

Die Befragung der 5.500 Schüler- und Jugendzeitungsredakteure und -redakteurinnen kann nicht den Anspruch der Repräsentativität erheben. Insofern sind die Aussagen stets nur als ein Beitrag zu diesem Thema zu verstehen. Allerdings läßt der Vergleich der Befragungsergebnisse mit den Aussagen der Gutachter hinreichend abgesicherte Schlußfolgerungen zu. Es ist deutlich festzustellen, daß die Selbsteinschätzung von Schüler- und Jugendzeitungsredakteuren dem tatsächlichen Ergebnis ihrer Arbeit, den Schüler- und Jugendzeitungen, nicht entspricht. Dies liegt jedoch keineswegs nur daran, daß die jugendlichen Redakteurinnen und Redakteure ihre eigene Arbeit nicht recht einzuschätzen vermögen, es liegt auch daran, daß die Erwachsenen sie mit Befragungsinstrumenten von angeblich wissenschaftlicher Natur konfrontieren, die ihnen ein entsprechend angepaßtes Verhalten aufzwingen. Jedenfalls meinen sie, sich diesem wissenschaftlichen Anspruch gegenüber konform verhalten zu müssen. So ist es zu erklären, daß sie von sich selbst glauben, eine recht objektive Art und Weise des Schreibens anzuwenden, in Wirklichkeit jedoch „subjektive“ Artikel zu Papier bringen.

Natürlich ist den meisten jugendlichen Schreiberinnen und Schreibern nicht klar, nach welchen „professionellen“ Regeln Berufsjournalisten schreiben. Selbst wenn sie auf Seminaren davon gehört oder in Büchern darüber gelesen haben, kann man nicht voraussetzen, daß sie diese Regeln tatsächlich auch anwenden können. Ihr Schreiben ist von ihrem jugendlichen Engagement getragen. Selbst ein noch so engagierter professioneller Journalist oder eine noch so engagierte professionelle Journalistin müssen sich anders äußern, sonst werden sie nicht gedruckt.

Redakteurinnen und Redakteure von Schüler- und Jugendzeitungen haben den unschätzbaren Vorteil, sich in ihrer eigenen Sprache ausdrücken zu können. Sie haben die Möglichkeit, Probleme jugendgerecht und damit für ihre Leserschaft zielgruppengerecht zu beschreiben. Die Frage, ob dabei auch die professionellen Regeln der journalistischen Schreibe gewahrt bleiben, ist demgegenüber sekundär.

Insofern mußte die Arbeitsgruppe der Friedrich-Naumann-Stiftung eingestehen, daß ihr Befragungsinstrument, ein recht ausgefeilter, nahezu dreißig Seiten langer Fragebogen, der mit einem wissenschaftlichen Institut abgestimmt war, nur zu einem Teil die Ergebnisse zeitigen konnte, die sie eigentlich gern gehabt hätte. Der oft vorschnell eingenommene Standpunkt, auch Jugendliche hätten sich gewissen Schreibregeln, die man den Tages- und Wochenzeitungen und anderen professionellen Druckerzeugnissen entnehmen kann, unterzuordnen, erschien der Arbeitsgruppe als falsch. Vielmehr ließ sich aus der Analyse der Schüler- und Jugendzeitungen ganz eindeutig ablesen, daß die Attraktivität dieser Blätter für ihre Zielgruppen eben nicht durch das sogenannte professionelle Schreiben entsteht. Sie entsteht vielmehr dadurch, daß die Jugendlichen so angesprochen werden, wie sie es verstehen, nicht etwa so, wie die Erwachsenen es gern möchten. Natürlich ist das hin und wieder zum Beispiel für einen Schulleiter provozierend, natürlich werden dadurch Themen oft in einer Weise angepackt, die den Erwachsenen peinlich sein könnte. Aber diese Argumente dürfen nicht dazu eingesetzt werden, die Initiative der Jugendlieben, sich über selbstgemachte, nicht-kommerzielle Zeitungen mitzuteilen, zu ersticken.

Nach unseren Erfahrungen ist es sinnvoll und nützlich, jugendspezifische Ansätze des Journalismus zu fördern und sie nicht mit der professionellen Machart von Zeitungen, die Gerd Rauhaus in seinem Beitrag im übrigen sehr in Frage stellt, gleichzuschalten. Die notwendig entstehende Subjektivität solcher Darstellungen hat nicht nur ihren ganz eigenen Reiz, sondern bietet den Zeitungsmachern und -macherinnen die Möglichkeit, sich selbst zu erfahren und sich mit der Umwelt kritisch auseinanderzusetzen.

Nach allem, was die Arbeitsgruppe der Friedrich-Naumann-Stiftung an Erkenntnissen gewonnen hat, ist diese Förderungswürdigkeit desjugendspezifischen Ansatzes keineswegs allgemein akzeptiert. Vielmehr sind die Angebote, die die Erwachsenen den Redakteuren und Redakteurinnen von Schüler-und Jugendzeitungen machen, darauf angelegt, sie in eine Schablone zu pressen, die weder ihrem Lebensalter noch ihrem Erfahrungshintergrund entspricht. Die Ergebnisse des Projektes sollten Anlaß sein, diesen Umgang mit kritischen jungen Menschen zu überdenken.

Das hier vorliegende Buch gibt Teile unserer Untersuchung wieder, die uns veröffentlichenswert erscheinen. Es handelt sich dabei nicht um Anleitungen nach dem Motto „Wie mache ich eine Zeitung?“, es handelt sich vielmehr um die Darstellung unserer Erfahrungen, die wir in der Arbeit mit Redakteurinnen und Redakteuren von Schüler- und Jugendzeitungen gewonnen haben. Es geht uns auch nicht darum, vielen wissenschaftlichen oder pseudowissenschaftlichen Untersuchungen auf diesem Bereich eine weitere hinzuzufügen. Wir wollen vielmehr Zwischenergebnisse unserer Arbeit zur Diskussion stellen und dadurch Motivation schaffen für die jugendlichen „Macher und Macherinnen“ von nicht-kommerziellen Schüler- und Jugendzeitungen. Wir halten es nämlich für überaus wichtig, daß solche Blätter weiterhin erscheinen. Wir glauben, daß kritisches Engagement Jugendlicher, gleichgültig aus welcher und in welche politische Richtung, Audrucksmöglichkeiten behalten muß; daß dieses Engagement auch von den Erwachsenen ernstgenommen werden muß und daß man es in der Erwachsenenwelt als einen wichtigen Teil der Kommunikation zwischen Jugendlichen zu begreifen hat.

Die Mitarbeiter der Friedrich-Naumann-Stiftung, die mit den Seminaren für Schülerzeitungsredakteurinnen und -redakteure zu tun haben, hören immer wieder die Klage darüber, daß die Schüler- und Jugendzeitungen doch ach so ideologisch ausgerichtet wären. Bei nüchterner Betrachtung läßt sich diese These zwar nicht in allen Fällen halten, jedenfalls aber muß man bestätigen, daß ein oft zu diffuser Begriff von Ideologie hinter so manchem Artikel in diesen Zeitungen steckt. Wenn man dies beklagt, so mag die Klage berechtigt sein oder nicht. Jedenfalls ändern die Erwachsenen durch das leider allzuoft probate Mittel, solche Blätter zu verbieten oder ihre Verbreitung zu untersagen, nichts an diesem beklagten Zustand. Sinnvoller wäre es, auch fairer, die Kritik, und sei sie noch so ideologisch, ernst zu nehmen, um sich mit der Situation der Jugendlichen auseinanderzusetzen. Nicht nur die liberalen Wertvorstellungen von Pluralität und Toleranz erfordern ein solches Verhalten, vielmehr ist es das Recht der Jugend gegenüber der Erwachsenenwelt, in ihrer Eigenart akzeptiert zu werden. Das ist nicht die Forderung nach Narrenfreiheit für Schüler- und Jugendzeitungen, sondern vor allem der Ausdruck des Bemühens, eine „frustrierte Generation“, die „Null Bock auf Nichts“ hat und für sich selbst „no future“ sieht, wieder in eine humane und freie Gesellschaft zu integrieren. Die Arbeit mit Schüler- und Jugendzeitungsredakteurinnen und -redakteuren reicht dazu sicher nicht aus; aber sie kann ihr Scherflein beitragen.