Politische Bildung in der Theodor-Heuss-Akademie – Tradition, Programme und Ziele
Dr. Karl-Heinz Hense, Bereichsleiter Politische Bildung und Begabtenförderung, Leiter der Theodor-Heuss-Akademie
Als die Theodor-Heuss-Akademie in Gummersbacham 26. Mai 1967 feierlich eröffnet wurde, war ihre inhaltliche Arbeit bereits eingebettet in konzeptionelle Vorgaben, die Vorstand und Kuratorium der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Veranstaltungsprogramme der seit 1958 bestehenden liberalen politischen Bildung in Deutschland formuliert hatten. Mehr noch: Die Vorstellungen der Gründerinnen und Gründer fußten – bewusst oder unbewusst – auf der Konzeption der „Erziehung zur Politik“, die Friedrich Naumann und sein Schüler Theodor Heuss schon 1919 der Errichtung der „Deutschen Hochschule für Politik“ zugrundegelegt hatten. Heuss war nicht der einzige, der in den fünfziger Jahren die Etablierung der Friedrich-Naumann-Stiftung mit Nachdruck betrieben hat – die Verknüpfung der Stiftungsarbeit mit dem Namen seines verehrten Lehrers und mit dessen Ideen gehen indessen ursächlich auf seine Initiative und sein liberales Denken zurück.
Friedrich Naumann hatte kurz vor seinem Tod im Jahr 1919 die „Deutsche Hochschule für Politik“ in Berlin als eine Staatsbürgerschule gegründet, die sich im wesentlichen vier Aufgabenbereichen widmen sollte:
- Heranbildung einer liberaldemokratisch orientierten politischen Elite;
- eine spezifische politische Ausbildung der mittleren und hohen Ministerialbürokratie;
- eine an der Weimarer Republik orientierte staatsbürgerliche Erziehung des „unpolitischen deutschen Volkes“;
- die Unterstützung neuzugründender Pädagogischer Akademien im Geiste Wilhelm von Humboldts.
Bis zu ihrer Gleichschaltung durch die Nazis im Jahre 1933 verfolgte die von Ernst Jäckh geleitete Staatsbürgerschule diese Aufgaben mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunktsetzungen.
Theodor Heuss war einer der Professoren, die unmittelbar nach der „Machtergreifung“ von den Handlangern der braunen Diktatur ihrer Ämter enthoben wurden. Die Absicht indessen, eine politische Wissenschaft zu etablieren, die der liberaldemokratischen Idee verpflichtet war, blieb lebendig. Dies zeigte sich, als nach dem Krieg die Hochschule vom späteren Westberliner Bürgermeister Otto Suhr neu gegründet und schließlich in das „Otto-Suhr-Institut“ der Freien Universität überführt wurde. Gewiss kann man die Situation von 1967, als die Theodor-Heuss-Akademie eröffnet wurde, nicht mit der nach dem verlorenen Krieg im Jahre 1919 vergleichen. Liest man aber die Texte, die im Zusammenhang mit der Gründung der Akademie geschrieben wurden, so stößt man immer wieder auf die pädagogischen Absichten, die schon Naumann und Heuss mit ihren Vorstellungen einer staatsbürgerlichen Erziehung verfolgt hatten. Nicht nur, dass man den Namen des 1963 verstorbenen ersten Bundespräsidenten für die Akademie wählte, zeigt, wie sehr sich zum Beispiel die damaligen Stiftungsvorsitzenden Professor Walter Erbe und Professor Paul Luchtenberg mit den pädagogischen Konzepten von Heuss identifizierten, auch fast alle überlieferten Zeugnisse der Gründerpersönlichkeiten spiegeln die Orientierung an dem großen liberalen Vorbild.
Theodor Heuss selbst hat auf der ersten öffentlichen Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung am 14. November 1958 in Bad Godesberg einen Vortrag mit dem Titel „Friedrich Naumanns Erbe“ gehalten, in dem er auch auf die Aufgabenstellung der Stiftung im Geiste ihres Namensgebers einging. Er beginnt mit dem berühmten Wort von der „kontradiktorischen Klärung schwebender Fragen“: „Als man mir im Frühjahr den Gedanken vortrug, es möge im Rahmen der Friedrich-Naumann-Stiftung die Möglichkeit geboten werden zu historischer und zu grundsätzlicher Unterweisung in den politischen Dingen, auch zur kontradiktorischen Klärung schwebender Fragen, fand ich das sehr schön. Die letzte Schrift des Mannes (…) trug den Titel: ‚Erziehung zur Politik’ und war etwas wie eine Programmarbeit für die ‚Staatsbürgerschule’. Diesen Namen hatte er für ein sorgfältig überlegtes Unternehmen gewählt – um (…) junge Menschen im Rahmen der Demokratie geschickt und verantwortungsstark zu machen.“ Und Heuss schließt seinen Vortrag mit dem Satz: „Aber wenn hier in der Friedrich-Naumann-Stiftung gelehrt werden wird, dann mag dies doch ein sonderliches Erbe sein, dass dieser Mann, der in so großartiger Weise ein Lehrender gewesen ist, immer ein Lernender vor den Wirklichkeiten blieb, um sich ihnen in der Freiheit einer sittlichen Entscheidung zu stellen.“
Friedrich Naumanns Grundanliegen, seine Vorstellung von der Aufgabenstellung für eine liberale Politik des zwanzigsten Jahrhunderts, die gleichzeitig den Mittelpunkt seiner pädagogischen Bemühungen darstellt, ist trefflich formuliert in einem Absatz aus Erhard Epplers Essay „Liberale und soziale Demokratie – Zum politischen Erbe Friedrich Naumanns“: „Was der ältere Liberalismus im Staat erreichte, soll der neuere in Wirtschaft und Gesellschaft durchsetzen: Freiheit des Bürgers gegenüber denen, die in irgendeiner Weise Macht haben und ausüben; ein gesicherter freier Raum, in dem der Einzelne sich als Glied der Gemeinschaft entfalten kann.“ „Aus Industrieuntertanen sollen Industriebürger werden“, so hatte Naumann selbst es formuliert. In der Stiftungsurkunde von 1958 heißt es dann: „Das Gedankengut, das Friedrich Naumann der Nachwelt hinterlassen hat, wird im Bereich des politischen Lebens unabhängig vom Wandel der Zeiten seinen Wert behalten. In dem Bestreben, dieses Gedankengut dem deutschen Volk nahezubringen und dadurch zur Stärkung der liberalen, sozialen und nationalen Ideen beizutragen, wird die Friedrich-Naumann-Stiftung errichtet.“
Werner Stephan, der erste Geschäftsführer der Stiftung, berichtet über die Vorüberlegungen zu ihrer Gründung: „Man war sich jedoch bald darüber klar, dass die Information von Parteifunktionären, Parlamentskandidaten, Gemeindevertretern und solchen, die es werden wollen, zwar nötig ist, aber nicht die ganze Breite und Tiefe des liberalen Gedankengutes erfassen kann. Naumann hatte festgelegt: ‚Wir glauben nicht, dass ein Parteiprogramm Grundlage eines Unterrichts sein kann, der von werdenden Menschen aufgesucht wird.’ Seine Staatsbürgerschule wollte nicht erreichen, dass ‚Leute einen politischen Katechismus mit Forschheit aufsagen’.
Parteischranken sollte es hier nicht geben, er wollte mindestens ‚die Grenzgruppen rechts und links zur Mitwirkung heranziehen’. Stets sollte ‚gelernte Bildung auf der Grundlage des Historischen’ als Basis dienen.“ Um diese Absicht nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, ja, um ihr ein Forum zu schaffen, auf dem die Fragen der Freiheit in Staat und Gesellschaft „kontradiktorisch“ geklärt werden sollten, gab Heuss der liberalen Stiftung den Namen seines Lehrers und Mentors.
Freilich war anfangs keineswegs klar, auf welchen Wegen diese Freiheit erreicht werden könnte. Dies zeigte sich zum Beispiel in der ersten großen Konferenz, die von der Friedrich-Naumann-Stiftung im April 1959 in Bad Kreuznach veranstaltet wurde. Sie trug den Titel: „Die geistige und politische Freiheit in der Massendemokratie.“ In den fünf Referaten der Tagung kamen ganz unterschiedlichen Konzeptionen, In der Bundesrepublik eine freiheitliche Ordnung zu etablieren, zum Ausdruck. Theodor Litt, einer der fünf Referenten, neigte, im Gegensatz zu klassischen liberalen Positionen, zu einer staatsautoritären Konzeption, zu der sich der Liberalismus nun, nach der Katastrophe der Nazi-Herrschaft, bekennen müsse: „Der Staat ist nicht bloß, wie etwa ein Kant (sic! – K.H.) meinte, das äußere Gehege, durch welches das Leben der staatlichen Gemeinschaft vor schädigenden Einflüssen geschützt wird. Der Staat ist ganz wesentlich beteiligt an der inhaltlichen Ausfüllung des gesamten Lebenszweckes, den ich mit den Worten geistiginhaltliches Klima gemeint habe. (…) Und ich wiederhole, soweit der Liberalismus geneigt war, in dem Staat lediglich den Ordnungswächter zu sehen, bedarf es in der Tat einer tiefgreifenden Korrektur.“
24 Jahre später, im Jahr 1983, kommentiert Ralf Dahrendorf, damals Vorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung, Litts Forderung wie folgt: „Nein, nein und nochmals nein! In der Geschichte des deutschen Liberalismus hat die Umarmung des Staates eine besondere Rolle gespielt. Sie war zumindest für die Freisinnigen fast so etwas wie der Prozeß, den die deutschen Sozialdemokraten zwischen dem Godesberger Programm von 1959 und der Wehner-Rede mit dem Bekenntnis zu Adenauers Außenpolitik von 1960 durchlaufen haben. Wenn man mitmachen wollte, mußte man die Bedingungen des Gegners akzeptieren. Dabei ist da in Deutschland allerdings viel Metaphysik eingeflossen, der objektive Geist und die Wirklichkeit der sittlichen Idee. So konnte es am Ende zu jener äußersten Selbstverleugnung kommen, die Liberale veranlaßte, ihre politische Organisationsform Deutsche Staatspartei zu nennen. Ganz abgesehen von dem gefährlichen Flirt mit der Unfreiheit, der in solchen Anbiederungsversuchen liegt, kann die politische Rolle des Liberalismus in der Bundesrepublik nicht die einer Staatspartei sein. (…) ihnen (den Volksparteien – K.H.) gegenüber muß die F.D.P. die Partei des Fragens, der Offenheit, der Phantasie, der Auflockerung, des ‚Elementar-Liberalismus’ sein. Das ist ein Ausdruck, den ich von Friedrich Naumann (…) nehme.“
Positionen wie die der an Hegels Geschichtsphilosophie orientierten Staatsrechtfertigung, die von Theodor Litt vertreten wurde, waren seinerzeit durchaus keine Ausnahmen. Auch der berühmte Ökonom Alexander Rüstow äußerte sich auf der Bad Kreuznacher Tagung in ähnlicher Weise. Es ist neben Heuss selbst vor allem den beiden ersten Vorsitzenden der Friedrich-Naumann-Stiftung, Walter Erbe und Paul Luchtenberg, zu verdanken, dass sie keine Gültigkeit für die Arbeit der Stiftung und später der Theodor-Heuss-Akademie erlangen konnten. Erbe stellte, ebenfalls in Bad Kreuznach, mit seinem Beitrag „Liberalismus in heutiger Zeit“ eindeutig klar, welche Position ein moderner Liberalismus einzunehmen und dass er jeglicher Vereinnahmung durch den Staat zu widerstehen habe: „Wenn ich eben dem Staat die Wahrung des konfessionellen Friedens vindiziert habe, so zeigt das, dass wir den Staat brauchen. Wir brauchen ihn ebenso zur Verhütung fesselloser Konkurrenz und wir brauchen ihn zur Verhinderung verantwortungsloser Monopolbildung. Und er muß stark genug sein, um nicht von den anderen kollektiven Mächten, den Interessenverbänden, überwältigt zu werden, weil er sonst seine schiedsrichterliche Rolle im Kampf der sozialen Gruppen nicht spielen kann. Zwar liegt die eigentliche Drohung unserer Zeit im Zuviel an staatlicher Autorität: angesichts der ausgeprägten Neigung der Deutschen, sich regieren zu lassen, und der daraus für den Staat kommenden Versuchungen, muß der Akzent stärker liegen auf der Freiheit gegen den Staat. Es gibt auch die Gefahr des Zuwenig staatlicher Autorität – sie ist eine Reaktion auf die Staatsvergötzung und auf Übertreibungen der Lehre vom amoralischen Staat. Der Liberalismus weiß, dass eine Demokratie mit einer schwachen Regierungsgewalt eine schwache, ja kranke Demokratie ist.“
Paul Luchtenberg, der Walter Erbe im Amt des Stiftungsvorsitzenden nachfolgte, ließ niemals einen Zweifel daran, dass liberale Politik im Geiste von Theodor Heuss sich an der individuellen Freiheit und nicht an der Staatsräson zu orientieren, der Staat dem Einzelnen gegenüber also eine dienende Funktion habe. Dies findet seinen Ausdruck sowohl in dem 1965 bei der Grundsteinlegung der Theodor-Heuss-Akademie gehaltenen Referat über Theodor Heuss, das in dieser Broschüre dokumentiert ist, als auch in vielen anderen Äußerungen. Luchtenberg spricht von einem „geläuterten Liberalismus“, der die richtige Position zwischen Freiheit des Einzelnen und staatlicher Verantwortung gefunden habe. Auf der Eröffnungsfeier der Theodor-Heuss-Akademie kleidete der damalige Präsident der Liberalen Weltunion, Professor Toxopeus aus Amsterdam, diese Position in folgende Worte: „Der Liberalismus verträgt sich weder mit Klassenkampf – ein heute von dogmatischen Sozialisten wieder häufig aufgegriffenes Thema – noch mit Konservativismus. Ich möchte hier gerne noch einmal betonen, dass die liberale Politik meiner Meinung nach ihre gesamte Schlagkraft einsetzen muß, um ein Klima zu schaffen, in dem der einzelne Bürger die größtmögliche Chance hat, seine Zukunftserwartungen, die er seiner Leistungsfähigkeit und Bildung gemäß hegen darf, zu realisieren. Das nenne ich eine ausgesprochen progressive Politik.“
Am 27. Dezember 1962, noch zu Lebzeiten von Theodor Heuss, hatte der Vorstand der Friedrich-Naumann-Stiftung den Beschluss zur Gründung der Theodor-Heuss-Akademie gefasst. Schon im Jahre 1965, zur Grundsteinlegung für die Akademie, hatte das Kuratorium der Stiftung „Thesen zu Aufgabe, Tätigkeit und Organisation der Theodor-Heuss-Akademie“ verabschiedet. Darin wurden nicht nur die allgemeinen personellen, technischen und organisatorischen Rahmenbedingungen formuliert, sondern auch inhaltliche Grundsätze, die als Grundlage für die Gestaltung der Veranstaltungsprogramme dienen sollten. In diesen Grundsätzen wurde auch das Verhältnis der Stiftungsarbeit zur Freien Demokratischen Partei thematisiert, das für die nächste Zukunft, ja, bis in die heutige Zeit, ein Diskussionsgegenstand bleiben sollte. Zur „Zielsetzung“ heißt es in den Thesen unter anderem wie folgt: „Erste Aufgabe ist danach die für die deutsche Demokratie lebensnotwendige Verbreitung sachlicher Information über alle Bereiche des öffentlichen Lebens, besonders der Innen- und Außenpolitik. Dies kann nicht im ‚akademischen Stil’ geschehen, sondern nur nach den Methoden der Volkspädagogik. Da jedoch nur eine sehr begrenzte Zahl von Mitbürgern in der Akademie zu Gast sein kann (jährlich höchstens 20.000 Übernachtungen – rd. 3.200 Teilnehmer), ist dabei wie bisher vor allem auf ‚Multiplikatoren’ abzustellen. (…) Diese Information soll nicht wertneutral sein, sondern zugleich den liberalen Geist vermitteln, der die Stiftung trägt. Das schließt die unpolemische, aber klare Auseinandersetzung mit anderen geistigen Strömungen innerhalb und außerhalb der freien Demokratie ein. Die Akademie ist kein Instrument der Parteipolitik, muß aber den demokratischen Parteien und besonders jenen, die sich zum Liberalismus bekennen, als entscheidenden Trägern der politischen Willensbildung jederzeit offen sein.“
Interessant an dieser Formulierung ist vor allem, dass sich die Kuratoren der Stiftung nicht nur an die in der Freien Demokratischen Partei organisierten Parteimitglieder richten wollten, sondern an alle in Parteien organisierten Multiplikatoren, die sich zum Liberalismus bekannten. Damit schlossen sie an die Absichten Friedrich Naumanns an, die dieser schon (wie oben zitiert) für seine Staatsbürgerschule im Sinn gehabt hatte. Es mag damit die Einschätzung verbunden gewesen sein, dass es in der Bundesrepublik – wie einst zu Weimarer Zeiten – mehrere liberale Parteien geben könnte (zumal damals in der FDP eine lebhafte Diskussion um Koalitionsfragen und den zukünftigen Kurs der Partei geführt wurde und die Erinnerung an 1956, als sich die „Freie Volkspartei“ von der FDP abspaltete, durchaus noch virulent war). Die Formulierung mag aber auch lediglich der Tatsache geschuldet sein, dass sich die Friedrich-Naumann-Stiftung und mit ihr die Theodor-Heuss-Akademie im wesentlichen aus öffentlichen Mitteln speiste. Freilich wurde bald zur Normalität im Alltag der Akademie, dass sich Gremien und Ausschüsse der Freien Demokraten und keiner anderen Partei dort als Gäste aufhielten und das Haus als Heimstätte des organisierten Liberalismus angenommen wurde. Auch die Kommission zur Erarbeitung der „Freiburger Thesen“ von 1971 tagte regelmäßig in der Theodor-Heuss-Akademie. Die Diskussion darüber, ob die Stiftung sich auch anderen Parteien öffnen müsse, erledigte sich bald aufgrund der normativen Kraft des Faktischen. Der liberale Geist hatte seine Heimat endgültig in den Reihen der FDP gefunden. Paul Luchtenberg war es, der mit seiner Rede über Theodor Heuss am 8. Juli 1965 zur Grundsteinlegung der Akademie endgültig den Weg wies, den die neue Bildungsstätte im Geiste ihres Namenspatrons gehen sollte: „’Die vielen Freiwilligkeiten sind die Heimat und der Nährboden eines demokratischen Lebensstils, nicht die Büros, in denen man Befehle oder Anweisungen entwirft oder empfängt oder weitergibt.’ Die Menschen für diese demokratischen Freiwilligkeiten zu gewinnen und sie für eine freiwillige Leistung zum Segen des Ganzen vorzubereiten, gehört für Theodor Heuss zu den vornehmsten Anliegen einer Staatsbürgerschule.“
Was dazu im einzelnen von der Akademie und ihren Mitarbeitern erwartet wurde, hatte wiederum das Kuratorium der Friedrich-Naumann-Stiftung vorgegeben: „Vermittlung von Sachwissen und liberalen Grundsätzen durch Veranstaltungen der Jugend- und Erwachsenenbildung, insbesondere durch Seminare für Deutsche und Ausländer; öffentliche und nichtöffentliche Aussprache, um Begegnung und Kommunikation zwischen Gruppen und Persönlichkeiten verschiedenster Art und Herkunft zu fördern und zur Klärung wichtiger Sachfragen beizutragen, vor allem durch öffentliche Arbeitstagungen und nichtöffentliche Kolloquien; wissenschaftlich-kritische Prüfung aller Fragen, die Geschichte und Gegenwart des Liberalismus stellen, im Rahmen des geplanten Forschungsinstituts der Stiftung, das in der Akademie seinen ständigen Sitz haben soll.“
Diese Vorgaben können im wesentlichen auch in unserer Zeit Gültigkeit beanspruchen, sieht man von der geplanten Einrichtung eines Forschungsinstitutes ab. Dies kam bis heute in der Akademie nicht zustande; dafür siedelte sich hier das Archiv des Liberalismus an, über dessen Arbeit an anderer Stelle in dieser Broschüre berichtet wird. Schon am 5. Mai 1967 hatte die Theodor-Heuss-Akademie mit ihrem „Ersten Akademie-Gespräch“ ihre Arbeit begonnen. Im Jahr darauf wurde über die Veranstaltungen und sonstigen Aktivitäten der neuen Bildungsstätte in der Akademie-Zeitschrift „offene gesellschaft“ berichtet. Dort druckte man wichtige Referate ab und fasste die Ergebnisse der Seminare zusammen. Später wurde eine Dokumentations-Reihe aufgelegt, die Ergebnisse und Materialien größerer Tagungen publizierte. Besonders Seminare mit grundsätzlicher Ausrichtung, zum Beispiel im Februar 1982 zum Thema „Kritischer Rationalismus und politischer Liberalismus“, wurden hier dokumentiert. Außerdem wurden Ergebnisse der Akademie-Arbeit in die allgemeinen Schriftenreihen der Stiftung aufgenommen, so beispielsweise wichtige Beiträge nebst einer umfangreichen annotierten Bibliographie aus dem Symposium „Alexis de Tocqueville – Zur Politik in der Demokratie“ von 1981 in die beim Nomos Verlag erscheinende Wissenschaftliche Reihe.
Am 1. Oktober 1968 wurde der Schriftsteller Rolf Schroers vom Vorstand der Stiftung als Akademie-Direktor bestellt. Schroers war seit 1965 Chefredakteur der von der Stiftung herausgegebenen Monatszeitschrift „liberal – Beiträge zur Entwicklung einer freiheitlichen Ordnung“ und hatte sich als kritischer Publizist im literarischen Leben der Bundesrepublik einen Namen gemacht. Bücher wie „Der Partisan“ oder „Der Trödler mit den Drahtfiguren“ hatten dem Mitglied der Gruppe 47 literarische Preise eingebracht und ihren Autor im deutschen Feuilleton etabliert. Von Schroers erhoffte man sich sowohl Kontinuität in der grundsätzlichen Ausrichtung der Akademie-Arbeit, aber auch neue Impulse und angemessene Reaktionen auf die von der Studentenbewegung geprägten politischen Diskussionen in Deutschland und der Welt.
Zwar hat sich Rolf Schroers der Veranstaltungsarbeit durchaus im Sinne des Vorstandes gewidmet und die Akademie in den häufig ideologisch aufgeheizten Debatten der sechziger und siebziger Jahre auf Ideologiekritik und auf rationale, argumentative Auseinandersetzung mit den Fragen der Zeit verpflichtet; dies wird unter anderem in einem Zitat aus dem Jahr 1975 deutlich, das einem umfangreichen Essay über „Liberale Politik“ entnommen ist: „Wir werden streitbar bleiben für eine Erziehung zu kritischer Rationalität, zu einer Erziehung, die befähigt, Fragen zu stellen und nicht auf Antworten abrichtet. Und wir werden streitbar bleiben gegen die, die vorgeblich antiautoritär nur noch gezinkte Fragen zulassen, die wie Groschen aus dem Automaten ideologische Verkündungen abrufen.“ Allerdings fällt auf, dass er die Auseinandersetzung mit der Freien Demokratischen Partei und den Stellenwert, den ihre Politik für die Arbeit der Akademie haben sollte, immer wieder in den Vordergrund seiner Überlegungen rückt. Wenn er in einem Bericht aus dem Jahr 1974 („Auftrag der Theodor-Heuss-Akademie“) Folgendes schreibt: „Nachweislich des Echos in der Publizistik (…) leistet die Theodor-Heuss-Akademie ständig Dienste bei der Wachhaltung des ‚Vorfeldes’ an der liberalen Ideenentwicklung. Die Aufgabe und die Möglichkeiten der Akademie richten sich selbstverständlich vorwiegend auf sogenannte Multiplikatoren“, so ist damit die oben zitierte Vorgabe des Kuratoriums erfüllt, dass nämlich die Akademie kein Instrument der Parteipolitik sein und sich insbesondere an Multiplikatoren wenden solle.
Schroers fügt indessen hinzu, dass das Programm der Akademie unter Beteiligung politischer Vertreter der FDP zustandekomme und fährt fort: „Die Teilnehmer kommen durchweg mit der Erwartung, sei es sich über programmatische Positionen der F.D.P. zu aktuellen Problemen zu orientieren, etwa zu den Positionen der Freiburger Thesen, oder sie kommen mit der Erwartung, ihre Erfahrungen und Interessen in die politische Entscheidungsfindung wirksam hineingeben zu können.“ Dies führt ihn zu folgendem Resümee: „Letzte und nicht unwichtigste Aufgabe der Akademie ist der Austrag von Entscheidungsfindungsprozessen innerhalb der Partei: seit mehreren Jahren vor allem das wechselseitige Verständnis zwischen den liberalen Jugendorganisationen und der F.D.P., das Spannungsfeld Liberalismus – Sozialismus mit seinen theoretischen Anforderungen und die Belebung liberaler Ansätze an den Universitäten, die zum Teil ein liberales Potential beherbergen, das sich jenseits der Partei und ohne unmittelbares Interesse seitens der Partei entwickelt. Gerade für den letzteren Fall ist die Legitimation der Arbeit der Theodor-Heuss-Akademie durch legitimierendes Interesse der F.D.P. besonders wichtig. Das seit einem Jahr angelaufene Stipendienprogramm mit dem Netz von Vertrauensdozenten, das sich jetzt für alle Universitätsorte der Bundesrepublik ausbildet, erlaubt starke praktische Hoffnungen für die Vertiefung hier bisher kaum genutzter Kontakte. – Die Theodor-Heuss-Akademie ist also vornehmlich eine Stätte geistiger Auseinandersetzungen mit dem politischen Liberalismus und für den politischen Liberalismus, an der sich auch europäische Liberale immer wieder beteiligen. Die Bedeutung eines geistigen Interesses für die Partei kann unseres Erachtens gerade in der gegenwärtigen Entwicklungsphase kaum überschätzt werden.“ Den unbefangenen Chronisten mag dabei überraschen, dass entgegen der ursprünglichen Konzeption von Kuratorium und Vorstand der Stiftung nun doch die Fixierung auf die Parteipolitik der FDP im Vordergrund stehen soll – bis hin zum „Austrag von Entscheidungsfindungsprozessen innerhalb der Partei“. Zwar relativiert Schroers diese Ausrichtung der Arbeit ein wenig, wenn er von der Akademie als einer „Stätte geistiger Auseinandersetzungen mit dem politischen Liberalismus“ spricht, jedoch bleibt der Eindruck, dass das grundsätzliche Selbstverständnis der Veranstaltungsarbeit sich in Richtung einer inhaltlichen Festlegung auf die Programme der FDP verengt hat. Dies mag seinen Grund darin gehabt haben, dass nach dem schwachen Wahlergebnis der FDP von 1969 (5,8 %) der Schulterschluss aller liberal Organisierten geboten schien, jedoch behält Schroers diese Linie auch bei, als sich die Position der Partei bei den späteren Wahlen in den siebziger Jahren wieder verbessert hat. Dabei dient ihm auch die Zeitschrift „liberal“, die ab 1973 zum Teil auch die Funktion der danach nicht mehr erscheinenden „offenen gesellschaft“ übernimmt, als Instrument parteipolitisch ausgerichteten intellektuellen Engagements. Nur nebenbei sei angemerkt, dass schon zu Beginn der siebziger Jahre eine Diskussion in der FDP ihren Anfang nahm, die darüber spekulierte, ob man die Akademie nicht besser veräußern und stattdessen eine andere Tagungsstätte in der Nähe von Bonn erwerben solle, die den tagespolitischen Interessen der Partei besser dienlich sein könne. Vermutlich wollte Schroers mit seiner ambitionierten Hinwendung zur FDP auch dieser Diskussion begegnen und den entsprechenden Absichten gegensteuern.
Rolf Schroers blieb bis 1981 Direktor der Akademie, bevor er krankheitsbedingt ausscheiden musste. Es gelang ihm, die Programme sowohl den Erwartungen der Partei anzugleichen als auch ihre Relevanz für die intellektuelle Diskussion, für die „kontradiktorische Klärung schwebender Fragen“ in der Bundesrepublik zu bewahren. Dies nicht nur durch den inhaltlichen Anspruch der Seminararbeit, sondern auch durch das Ansehen seiner Person. Bei seiner Verabschiedung am 16. Februar 1981sagte der damalige Kuratoriumsvorsitzende der Stiftung, Otto Graf Lambsdorff, über Schroers: „Die Arbeit und die Erfolge dieses Hauses insgesamt wären ohne ihn und sind ohne ihn undenkbar. Er hat hier das geistige Fluidum geprägt, ein Fluidum, das sich auszeichnete und auszeichnet durch Toleranz, durch Liberalität, aber auch durch den Sinn für Verantwortung. (…) Aber soviel darf ich sagen, dass Rolf Schroers, für mich jedenfalls, das Musterbeispiel eines Intellektuellen ist, der nie den Bezug zur Realität verloren hat und dennoch Raum für schöpferische Phantasie ließ.“ In seiner Entgegnung umriss Schroers mit wenigen Sätzen seine grundsätzlichen Positionen, die auch heute noch ungeschmälert Geltung beanspruchen können: „Freiheit und Verantwortung sind politisch unteilbar. Es wächst das sich radikalisierende Bedürfnis nach Freiheiten, die sich unter allen möglichen Vorgaben der persönlich zurechenbaren Verantwortung entziehen, und im Gegenzug wächst eine gepanzerte Verantwortung, die sich – als Gehorsam – ihrem humanen Ursprung, der Freiheit, entzieht. Legalismus, Bürokratismus sind die Stichworte. Für die freiheitliche Auseinandersetzung um die Wirkungskraft freiheitlichen Bürgersinnes darf diese Antinomie nicht hingenommen werden. – Die Theodor- Heuss-Akademie hat es immer mit der Entideologisierung zu tun und damit, der Macht ihre Argumente für die Freiheit und nicht nur für ihre Durchsetzungsfähigkeit abzufordern. Das verlangt Autorität, die eine Form der Selbstachtung ist. Unter uns gesprochen, die Form liberaler Persönlichkeit.“
Im Amt des Direktors der Akademie folgte Rolf Schroers Wolfgang Heinz nach, der aus der aktiven Politik in die Veranstaltungsarbeit der Stiftung wechselte. Seine Antrittsworte waren Programm: „Die politische Jugend- und Erwachsenenbildung der Liberalen beschränkt sich nicht auf Konzepte, Theorien und abstrakte Darstellung von Fakten und politischen Möglichkeiten; sie ist vielmehr handlungsorientiert und auf politisches Engagement ausgerichtet. (…) Rolf Schroers verdanke ich vor allem dies: Die Theodor-Heuss-Akademie war in all diesen Jahren der Vorbereitung auf aktive Politik und des Mandats die geistige Heimstatt, das liberale Mutterhaus.“ Im Jahre 1982 wurde Professor Ralf Dahrendorf vom Kuratorium der Stiftung zum Vorstandsvorsitzenden gewählt. Von dem international renommierten Soziologen und Direktor der „London School of Economics and Political Science“ sollten mit Blick auf den Koalitionswechsel in Bonn sowohl eine Konsolidierung der Stiftungsarbeit gewährleistet als auch neue inhaltliche Impulse gegeben werden. Ab 1984 übernahm Dahrendorf auch die Herausgeberschaft der Zeitschrift „liberal“, die eine neue inhaltliche Konzeption erhielt und auf vierteljährliches Erscheinen umgestellt wurde. Für jedes Heft wurde nun ein Schwerpunktthema festgelegt, das aus unterschiedlichen Blickwinkeln von Autoren und Autorinnen mannigfacher politischer Richtungen behandelt werden sollte. Gleichzeitig sollten die Schwerpunkte der Zeitschrift sich auch in der Veranstaltungsarbeit der Stiftung wiederfinden. Im Jahre 1983, aus Anlass des 25jährigen Bestehens der Stiftung, äußerte sich Dahrendorf zu seiner grundsätzlichen Vorstellung von der Stiftungsarbeit: „Die Friedrich-Naumann-Stiftung ist eine liberale Stiftung. Das heißt auch, dass alle, die in ihr arbeiten, ein Interesse daran haben, dass liberale Ideen praktisch durchgesetzt werden. Die Naumann-Stiftung hat eine special relationship zum organisierten Liberalismus. Aber in ihren Einrichtungen, in der Theodor-Heuss-Akademie, bald auch auch im Margarethenhof, in Seminaren und öffentlichen Veranstaltungen, in ihren Forschungsprojekten und ihren Publikationen, darunter vor allem in der Zeitschrift ‚liberal’ (die ich selbst ab Anfang 1984 als Herausgeber und Chefredakteur übernehmen werde), wird auch in Zukunft das Unvertraute gesagt, das Unbequeme erörtert, werden Wege nach vorne gesucht, die im politischen Prozeß selbst unerkundet bleiben und unter den hier dargestellten Bedingungen unerkundet bleiben müssen.“
Diese Aussage macht deutlich, dass der neue Vorsitzende sich sowohl der Angewiesenheit auf die Akzeptanz des Bildungsangebotes durch die FDP, der „special relationship“, bewusst war, aber auch Themen auf die Agenda der Bildungsangebote setzen wollte, die nicht in den Prioritäten liberaler Parteipolitik zu finden waren. Damit wagte er einen Spagat, der indessen zu gelingen schien. Beide Absichten, die Orientierung am Programm des organisierten Liberalismus und die Artikulation des „Unbequemen“, ließen sich deutlich an den vier Schwerpunktthemen der „liberal“-Hefte des Jahrgangs 1984 ablesen: „Die geistige und politische Freiheit in der Massendemokratie“ (als Rückgriff auf die traditionellen Lini- en der Stiftungsarbeit); „Der Zustand der deutschen Parteien“ (als kritische Bestandsaufnahme); „Was tun wir in den Entwicklungsländern?“ (als Auseinandersetzung mit der internationalen Stiftungsarbeit); „Wende in der Wirtschaftspolitik?“ (als Kommentierung des Kurses des FDP in der neuen Koalition).
Die Autoren der Schwerpunktthemen repräsentieren ein erstaunlich breites Meinungsspektrum: Von dem ehemaligen 68er Rebellen Bernd Rabehl bis hin zu einem Wertkonservativen wie Hans Maier waren Intellektuelle vertreten, die in der Tat ganz unterschiedliche Auffassungen zu ihren jeweiligen Themen zu Papier brachten. Die Praxisorientierung der Stiftungsarbeit, die schon von Rolf Schroers besonders betont worden war, hob auch Dahrendorf immer wieder hervor. Zum Beispiel im Jahre 1985 aus Anlass der 125. Wiederkehr des Geburtstages von Friedrich Naumann: „Ideenlose Machtausübung widerspricht an sich schon dem demokratischen Prinzip der Entfaltung des Menschen in die offenen Horizonte der Zukunft. Ein Nachdenken, das nicht an Durchsetzung und Umsetzung interessiert ist, hat zwar seinen guten Sinn, aber eben an Universitäten und nicht in politischen Stiftungen. Unsere Themen, unser Stil, sogar unsere Zeithorizonte sind also durchaus an den Bedürfnissen der politischen Praxis orientiert. Das ist nicht die Alltagspraxis, wohl aber die der über den Tellerrand der Legislaturperiode hinausweisenden Linien und Richtpunkte des Handelns.“ In der Theodor-Heuss-Akademie wurden diese Akzentsetzungen des Vorsitzenden durchaus nachvollzogen. Zwar waren hier nicht immer dieselben Schwerpunktthemen maßgeblich, wie sie Dahrendorf zum Beispiel für die Zeitschrift „liberal“ festlegte, jedoch wurde sowohl die Orientierung am organisierten Liberalismus als auch das Vorausdenken in grundsätzlichen Fragen in den Seminarangeboten deutlich. Was die inhaltlichen Schwerpunkte angeht, so kann man für die achtziger Jahre neben der Beschäftigung mit grundsätzlichen Fragen des Liberalismus zwei mit besonderem Engagement behandelte Themen identifizieren: Die Dialektik von Ökonomie und Ökologie sowie die Bedeutung ethischer Fragestellungen in der Politik. Im letzteren Bereich spielte die Auseinandersetzung mit Max Webers Unterscheidung von Gesinnungs- und Verantwortungsethik eine besondere Rolle, aber auch die kritische Rückschau auf Vertreter des Anti-Liberalismus, etwa auf Carl Schmitt. Auch die Besinnung auf die ursprünglichen Absichten des Namenspatrons Theodor Heuss wurde nicht vernachlässigt: Einer großen Wanderausstellung über den Politiker Heuss folgte eine weitere über „Theodor Heuss als Zeichner“. Zwei Zitate aus Berichten vom Oktober 1986 über die Arbeit in der Akademie mögen die beiden Stränge – einerseits Orientierung an liberaler Parteipolitik, andererseits Vorausdenken in grundsätzlichen Fragen – verdeutlichen. Sie stammen beide vom damaligen Akademiedirektor Professor Manfred Schleker. Zum Grundsätzlichen: „Da aber Naumann in seiner Staatsbürgerschule nicht erreichen wollte, dass ‚Leute einen politischen Katechismus mit Forschheit aufsa- gen’ (…), war die Theodor-Heuss-Akademie auch Prüfstand für neue Ideen und Impulse im Dialog zwischen Wissenschaft, Publizistik, Kultur und liberaler Politik – ein vor allem in unserer Republik sehr mühsamer Dialog, weil es immer noch sehr schwierig scheint, das Erkenntnisinteresse der Wissenschaftler mit dem Verwertungsinteresse der Adressaten – der Funktions- und Mandatsträger zum Beispiel – in Übereinstimmung zu bringen.“ Und zur Partei-Orientierung: „Die Theodor-Heuss-Akademie ist (…) ‚die gewiß aufwendigste und weithin bekannteste Einrichtung einer politischen Stiftung mit einem eigenen politischen Profil’. (…) Aus der Theodor-Heuss-Akademie kommen (…) häufig auch ‚Denkanstöße zur Erneuerung der F.D.P.’ (…) Die Theodor-Heuss-Akademie ist also nicht nur in der Intention der Friedrich-Naumann-Stiftung, sondern auch durchaus im Verständnis der Öffentlichkeit eine Stätte geistiger Auseinandersetzung mit dem politischen Liberalismus und für den politischen Liberalismus.“ Mit dieser Formulierung nimmt Schleker die Worte auf, die schon Rolf Schroers für die Ausrichtung der Akademie-Arbeit auf Belange der liberalen Partei benutzt hatte und stellt so eine Kontinuität dar, die in der Tat spätestens seit Mitte der siebziger Jahre die Programme der Akademie geprägt hat und bis heute prägt. Dies um so mehr, als mit der immer wichtiger werdenden Zielgruppe der Stipendiaten und Altstipendiaten der Stiftung eine Klientel entstanden ist, die für die kritische Auseinandersetzung mit liberaler Politik und konkreten liberalen Programmen besonders aufgeschlossen war und ist. Am 13. September 1992 sprach der damalige Vorsitzende der Stiftung, Wolfgang Mischnick, auf einer Veranstaltung zum 25jährigen Jubiläum der Akademie über „Erziehung zur Demokratie“. In einem Bericht über sein Referat heißt es: „Die Theodor-Heuss-Akademie habe sich, so Mischnick, in den 25 Jahren ihres Wirkens einen respektablen Platz im Spektrum der politischen Jugendund Erwachsenenbildung in Deutschland geschaffen. (…) Bei genauerem Hinsehen aber entdecke man, dass die leitende Idee der ‚Staatsbürgerschule’, die hinter der Heuss-Akademie und der gesamten Friedrich-Naumann-Stiftung stehe, von Friedrich Naumann bereits im Jahre 1917 konzipiert wurde, also vor nunmehr 75 Jahren. Mischnick: ‚Wenn wir heute das 25jährige Wirken der Theodor-Heuss-Akademie feiern, so sollten wir zugleich der 75 Jahre gedenken, die die Idee der Staatsbürgerschule nun alt ist. – Mit dieser Akademie wurde 1967 wieder an 1917 angeknüpft.’“ Der Rückgriff auf Friedrich Naumann, von Wolfgang Mischnick immer wieder ins politische Spiel gebracht, zeigt die Absicht des Stiftungsvorstandes, auch in Zeiten, die für das sozialliberale Gedankengut Naumanns eher ungünstig waren, die ursprüngliche Zielsetzung nicht zu vergessen. Insofern stellen die bis heute in der Theodor-Heuss-Akademie angebotenen Seminare zur Geschichte und zu den Grundlagen des Liberalismus eine Kontinuität dar, die im Geiste ihres Namensgebers von der Stiftung auch in Zeiten gewahrt wurde, die anderen Facetten des liberalen politischen Spektrums eher zugewandt waren. Freilich wurden die veränderten Akzentsetzungen und Prioritäten des organisierten Liberalismus auch in den Programmen der Akademie deutlich. Ein stärker an der politischen Ökonomie ausgerichtetes Verständnis liberaler Politik wurde auch in den Seminaren der Theodor- Heuss-Akademie vermittelt. Die marktwirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen der Freiburger Schule und die Theorien eines Friedrich August von Hayek oder Ludwig von Mises wurden neben der Gedankenwelt von Friedrich Naumann, Karl-Hermann Flach oder Ralf Dahrendorf fester Bestandteil in den zu den Grundlagen des Liberalismus angebotenen Veranstaltungen.
1995 wurde Otto Graf Lambsdorff, der viele Jahre dem Kuratorium der Stiftung als Mitglied und als Vorsitzender angehört hatte, zum Vorstandsvorsitzenden des Stiftung gewählt. Er setzte deutliche Akzente für die Schwerpunkte der Arbeit im Inland und im Ausland. Mit einer parteiübergreifend besetzten Kommission entwickelte er Vorstellungen für eine zeitgemäße Föderalismus-Reform in Deutschland, die in den Medien ausführlich zur Kenntnis genommen und meist positiv gewürdigt wurden. Dies Thema mit all seinen Implikationen fand Eingang in die Veranstaltungsarbeit der Stiftung und wurde von Publikationen begleitet, die sowohl die Ergebnisse der Kommissionsarbeit als auch Stellungnahmen zur Föderalismus-Debatte von liberalen Autoren und Fachleuten aus der Wissenschaft enthielten. In der internationalen Stiftungsarbeit legte Graf Lambsdorff hohen Wert auf die Behandlung von Menschenrechtsfragen. Besonders intensiv engagierte er sich persönlich für die Rechte des von China besetzten Tibet und nahm dabei auch in Kauf, dass der Stiftung deshalb die Arbeit in der Volksrepublik China untersagt wurde. Rechtsstaatlichkeit und Marktwirtschaft waren die beiden wichtigsten Bereiche, die Lambsdorff in der Auslandsarbeit der Stiftung mit Priorität belegte. Dies spiegelte sich in den Veran- staltungen im Inland. Auch das Programm der Theodor-Heuss-Akademie war in den Jahren von 1995 bis 2006, in der Zeit des Vorsitzes von Graf Lambsdorff, davon geprägt.
Mit dem Vorsitz von Graf Lambsdorff kehrte eine gewisse Kontinuität in die Veranstaltungsarbeit der Theodor-Heuss- Akademie ein. Es schälten sich Themenstränge heraus, die bis heute eine durchgängige Linie, einen roten Faden in den Programmen bilden. Es sind vor allem drei Bereiche, die in jedem Jahr wiederkehren: Die Seminare zu den Grundlagen und zur Geschichte des Liberalismus, die insbesondere für die Stipendiaten der Stiftung, aber auch für allgemein an liberaler Politik Interessierte aus allen Kreisen der Bevölkerung angeboten werden; Veranstaltungen zu politischen Fertigkeiten wie Rhetorik, Strategisches Planen und Veranstaltungsmoderation, die besonders auf Kommunalpolitiker und Parlamentskandidaten zugeschnitten sind; und schließlich Seminare zu außenpolitischen Themen, etwa die Politisch-Kulturellen Wochenenden, die jeweils die Situation in einem bestimmten Partnerland zum Thema haben. (Im letzten Bereich sind durch die Arbeit der „Internationalen Akademie für Führungskräfte“ Veranstaltungen hinzugekommen.) Bei den Zielgruppen werden nach wie vor besonders Multiplikatoren angesprochen; außerdem sind immer stärker geeignete Kooperationspartner etwa aus dem wissenschaftlichen oder aus dem Bereich von Verbänden und politischen Organisationen ins Boot geholt worden. Im übrigen wurde die Akademie-Arbeit seit Beginn des dritten Millenniums stärker als früher mit der gesamten Stiftungsarbeit verknüpft. Die vom Vorstand vorgegebenen Schwerpunktthemen gelten nun gleichermaßen für die gesamte Veranstaltungsarbeit – im Inland wie im Ausland. In einem Positionspapier aus dem Jahr 2005 wird die inhaltliche Arbeit der Theodor-Heuss-Akademie wie folgt aufgegliedert: Ein Fünftel der Seminare zu Themen im Rahmen der Geschichte und der Grundlagen des Liberalismus; ein Viertel zu den politischen Schwerpunkten, die alle vier Jahre vom Vorstand der Stiftung neu beschlossen werden; ein weiteres Viertel zu den Politischen Fertigkeiten; der Rest sind Veranstaltungen zu aktuellen Themen, die zum Beispiel von den Arbeitskreisen der Stipendiaten entwickelt werden. In dem Papier heißt es außerdem: „Einerseits sollten wir uns auf die Tradition besinnen. Auch wenn das Wort von Joachim Ritter hinlänglich bemüht worden ist: Zukunft braucht Herkunft. Wir fangen nicht bei Null an, sondern wir können von einer langjährigen Erfahrung ausgehen, die viele positive Aspekte hat.“ Und weiter: „Wir arbeiten nicht losgelöst vom politischen Geschäft, sondern mitten darin. Dabei dürfen wir unsere Anstrengungen freilich nicht auf die Fragen kurzfristiger Tagespolitik beschränken, sondern wir müssen sie in einen sowohl inhaltlich als auch zeitlich weitergefaßten Rahmen stellen. Und wir dürfen nicht vergessen, unserer Klientel Antworten auf diese Fragen anzubieten, also liberale Position zu beziehen.“ Auch in den letzten Jahren sind also nach wie vor die beiden generellen Ausrichtungen des Akademie-Programms festzustellen: auf der einen Seite die Behandlung allgemeinpolitischer Fragestellungen mit liberalem Bezug, auf der anderen Seite eine Orientierung an der aktuellen Programmatik des organisierten Liberalismus. Besonderen Wert legt das Positionspapier freilich auf das eigenständige, erkennbare Profil der Akademie-Arbeit und der gesamten Bildungsarbeit der Stiftung im Inland: „Übrigens dürfen und wollen wir uns dabei nicht wie eine wertfreie Volkshochschule verstehen. Es kann nicht die Aufgabe der liberalen Stiftung sein, sich ohne Ansehen politischer Prioritäten an alle Bürger und Bürgerinnen in unserer Gesellschaft zu wenden. Damit würden unsere Anstrengungen nur ohne Resultat verpuffen. – Wir müssen diejenigen suchen und finden, die mit liberalen Werten etwas Positives verbinden, auch wenn sie nicht liberal organisiert sind. Wir müssen also in erster Linie sogenannte liberale Milieus erreichen oder begründen.“
Das Bildungsbürgertum und der Mittelstand gehören gewiß nach wie vor dazu, aber auch all jene, die neuen Entwicklungen aufgeschlossen gegenüberstehen und die sich an der Gestaltung unserer Gesellschaft aktiv beteiligen wollen. Wo wir diese Milieus finden, ist von Region zu Region, von Ort zu Ort unterschiedlich. Wichtig ist, dass wir uns zielgerichtet darum bemühen. Allerdings müssen unsere Angebote allen Interessierten grundsätzlich offenstehen.“ Mit dieser Aufgabenstellung ist die Arbeit der Theodor- Heuss-Akademie eindeutig verortet. Es geht um eine klar positionierte weltanschauliche Grundlage, um den politischen Liberalismus, der das Fundament für die Veranstaltungsarbeit bildet. Die Ausrichtung der Arbeit ist dadurch, gemessen an den oben dargestellten Absichten früherer Jahre, politischer geworden. Die Akademie stellt sich eindeutig mit ihren Bildungsangeboten der Konkurrenz zu anderen politischen Richtungen. Das didaktische Prinzip der „kontradiktorischen Klärung“ hat sie dabei nicht aufgegeben. Dazu heißt es im Positionspapier: „Sie (die Absicht der Ideologiekritik – K.H.) fußt auf bester liberaler Tradition: nicht ideologisch indoktrinieren zu wollen, sondern kritisch zu fragen, rational miteinander umzugehen und Toleranz zu zeigen im Austausch von Argumenten. Aber auch entschieden und streitbar zu sein, wenn es um die Auseinandersetzung mit denjenigen geht, die wohl Toleranz von Andersdenkenden einfordern, selbst aber nicht bereit sind, Toleranz zu üben.“ Im April 2006 wurde Wolfgang Gerhardt zum neuen Stiftungsvorsitzenden gewählt. Schon bald kündigte er eine Fokussierung der Stiftungsarbeit auf den Begriff der Freiheit an. Unter dem Namen „Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit“ wird sie zukünftig ein spezielles Marketing für ein freiheitliches Politikverständnis entwickeln. Dies wird auch die Arbeit der Theodor-Heuss-Akademie prägen und den bisherigen Jahresringen andersartige neue hinzufügen. In einem Aufruf zur Gründung einer Freiheitsgesellschaft formuliert Gerhardt, was für ihn die Ausrichtung auf die Freiheit bedeutet: „Wir werben für den Aufbruch in einem Land des Stillstandes. Wir stehen für private Initiative und Selbstständigkeit. Wirtschaftlich, gesellschaftlich und persönlich wird die Fähigkeit zur Verantwortung der entscheidende Erfolgsfaktor zu Beginn des neuen Jahrtausends sein. Mitwirkung läuft nur über Freiheit. Sie stirbt unter Zwang. Nur mehr Freiheit bringt unserem Land die Kraft zurück, die wir für künftigen Wohlstand, für mehr Gerechtigkeit und für ein erfolgreiches Deutschland in der Welt brauchen. Wir brauchen sie gerade jetzt. Die Freiheit darf kein vergessenes Ideal werden.“