Rezension Herbstlicht

Nach Köln gehen und ein Kaufhaus sanieren? Man darf vermuten, daß es so einfach nicht ist – schon gar nicht, wenn Karl-Heinz Hense ein Buch schreibt. Vielleicht ist dem Leser schon das eine oder andere Buch von ihm begegnet, denn neben Publikationen unter dem Namen Hense hat er auch unter dem Pseudonym Jan Marthens eine Reihe von Romanen, Lyrik und Erzählungen veröffentlicht.

Managers Krise

Wer Hense kennt und liest, findet stets aufs neue kenntnisreiche Anspielungen auf allerlei Literarisches, in Herbstlicht* zum Beispiel auf James Joyce, Oscar Wilde oder auf die eigenwilligen Texte des Doors-Sängers Jim Morrison. Immer wenn die Dinge einmal wieder auf den Prüfstand gehören, kann man von Hense ein Buch mit Zeitbezug erwarten. Im vorliegenden Fall dient zu Prüfzwecken der Hauptcharakter des Romans, Dr. Anton Friedes. Dessen Erkundungen führen den Leser in eine Welt der Verstrickung von Politik, Macht, Intrige und Mord. Es geht um einen Teufelskreis aus Ehrgeiz, Position, Macht und Geld. Der Autor, der hauptberuflich mit der Leitung einer Einrichtung für politische Bildung betraut ist, weiß sicherlich, worüber er schreibt. Hense macht sehr anschaulich, daß es unmerkliche Entwicklungen gibt, deren Gefahren man sich erst bewußt wird, wenn es eigentlich schon zu spät ist oder – der Mord eben schon passiert ist.

Die ersten Seiten des Romans entfalten das Szenario, und man stellt bald fest, daß man eigentlich schon eingetaucht ist. Das liegt daran, daß die knappe Sprache den Leser mit den Augen des Hauptakteurs die Szene genau erfassen läßt. Dr. Anton Friedes, ein hochgebildeter Vertreter der 68er Generation, der die Geschicke des angeschlagenen Kaufhauses mit Durchsetzungsvermögen und fachlicher Kompetenz zum Guten zu wenden versteht, merkt, daß sein privater, persönlicher Kurs zunehmend ins Schlingern gerät. Er sieht sich in seiner eigenen Lebensbilanz mit immer mehr Fragen konfrontiert, die er sich bisher nie gestellt hat. Von Antworten ist er zunächst weit entfernt, doch das Zulassen der Fragen ist schon ein Schritt zu der Erkenntnis, daß sich Lebenslügen einschleichen und sich als Glück darstellen. Dieses Thema ist ja nicht neu, denkt man. Die Krise des erfolgreichen Managers, das in die Schieflage geratene Leben Otto Normalverbrauchers – diesen beiden Varianten begegnet man im Buch. Doch man liest dieses Buch weiter, man legt es nicht beiseite. Der Grund liegt darin, daß dieser Anton Friedes eben keine Klischeefigur ist. Man kann seine Gedanken und Zweifel sehr gut verstehen. Man freut sich an manch einem Zitat aus Literatur, Philosophie und Soziologie. Anschaulich, jenseits aller Geschwätzigkeit, sprachlich präzise gefaßt, erlebt der Leser die örtlichen Gegebenheiten. Man hat die Landschaft, die Atmosphäre der Schauplätze wie Büro und Kneipe vor Augen. In den Kneipen finden dann auch die zentralen Gespräche statt. Dabei steht Friedes‘ gedankenvolle Selbstfindungsreise in krassem Kontrast zum gewöhnlichen, ja banalen Umfeld des Kölner Talmi-Szenarios. In der Beschreibung der Jugenderinnerungen und der privaten Abenteuer der Hauptperson sowie anderer Beteiligter erkennt der Leser eigene Erlebnisse und Erfahrungen wieder. Diese Situationen werden mit erheiternden Kommentaren bedacht. Über den Humor läßt sich ja vieles transportieren. Auch die Namengebung der handelnden Personen ist Konzept: Figuren wie Zimmer, Glimper und Klümper sorgen für Erheiterung. Der Abstand, den gewisse Stilmittel schaffen, macht diese Figuren, insbesondere diesen Anton Friedes, auch so lebendig. Ungeteilte Sympathie hingegen läßt sich für keinen der Beteiligten hegen. Auch das trägt dazu bei, die Geschichte lebensnah wirken zu lassen. Hier gehen Leute ihren Weg. Der Weg des Erfolges aber hat seinen Preis: das verlorene Glück. Dieser Roman ist die Reise eines Menschen, das verpaßte Glück wiederzufinden. Es ist eine lange Reise. Die Zeit, diese Reise ein Stück weit zu begleiten, sollte man sich nehmen. lduna Warnek