Unaufhaltsam nach rechts?

Ortungen im deutschsprachigen Feuilleton

In Italien gehören vier neofaschistische Minister und der Stellvertreter des Ministerpräsidenten der Regierung an, ein Europa-Kandidat der Nationalen Allianz, flankiert von der Parteizeitung der Neofaschisten, kann schon wieder ungestraft die Internierung Homosexueller in Konzentrationslagern fordern; in Frankreich sind die Sozialisten und Kommunisten in der Nationalversammlung fast auf eine quantité negligéable heruntergekommen; in den USA gibt Präsident Clinton ein Wahlversprechen nach dem anderen zugunsten staatsautoritärer und wirtschaftskonformer Politik auf; in den ehemals kommunistischen Staaten, allen voran Rußland, tun sich Alt-Sozialisten und Neu-Nationalisten zusammen, um eine unheilige Allianz der militanten Reaktion zu bilden; im Rest der Welt, vor allem in den Entwicklungsländern Afrikas, feiern Tribalismus und Mißachtung elementarster Menschenrechte eine zum Schaudern schreckliche Hochzeit.

Und in Deutschland? Da muten die nach rechts weisenden Tendenzen in Gesellschaft und Politik vergleichsweise harmlos an, oder? Der neue Präsident brüskiert schon vor seinem Amtsantritt die bei uns lebenden Ausländer; der Sozialdemokrat Oskar Lafontaine gebärdet sich wie ein Alleinherrscher und beschneidet die journalistische Freiheit im Saarland; die Polizei stellt in einem internen Protokoll die Sympathie ihres gehobenen Dienstes für die randalierenden Rechtsextremisten fest; Woche für Woche melden die Medien neue ausländerfeindliche Anschläge, das Volk hat sich schon dran gewöhnt. Und noch einiges mehr könnte man anführen, zum Beispiel den wiederauflebenden Antisemitismus.

Was ist bloß geschehen nach dem Zusammenbruch des vermeintlich real existierenden Sozialismus? Der einen, der westlichen, Seite ist das Feindbild abhanden gekommen, so meinen viele, und jetzt schaffen die Menschen sich ein neues, indem sie auf niedere Instinkte, auf Revanchismus und platten Nationalismus zurückgreifen; die „weichen“ Werte westlicher Verfassungen sind den „harten“ Ansprüchen der Stammesherkunft und der Sippenzugehörigkeit nicht mehr gewachsen. Auf der anderen, der östlichen, sind sie überfordert von der neuen Freiheit und flüchten sich in scheinbare Gewißheiten, in die Trugbilder von einst, gepaart mit dem mißbrauchten Pathos der Nation; auch hier weicht die Macht der Vernunft der „Stimme des Blutes“.

Rechts und links – unzeitgemäße Begriffe?

Rechts und links, so Konrad Adam in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu den neuen Zuständen, das taugt eigentlich gar nicht mehr als Beschreibung der politischen Alternative, wenigstens nicht in den Industrieländern. „Es ist die Zeit der Abweichler, der Überläufer oder der Verräter: Die alten Begriffe haben sich behauptet, obwohl sie ihren Sinn weitgehend verloren haben, und niemand weiß, wer denn nun eigentlich von welchen Fahnen gewichen ist.“ An die Stelle der Auseinandersetzung zwischen Linken und Rechten sei, von vielen unbemerkt, längst eine andere getreten: die zwischen Individualisten und Kommunitaristen. Und jeder Versuch, diese neuen Lager den alten zuzuordnen, etwa die Individualisten den Linken und die Kommunitaristen den Rechten, müsse scheitern. Denn: „Die Linien, denen sie folgen, laufen quer zu den tradierten Lagergrenzen.“ Adam schlägt sich auf die Seite der Kommunitaristen. Er sieht die Gesellschaft zerfallen, sieht ihren Zusammenhalt mehr als gefährdet: „Die Besserverdienenden und die Schlechterverdienenden, die Selbständigen und die Abhängigen, die Männer und die Frauen, die Alten und die Jungen, die öffentlich Bediensteten und die privat Beschäftigten, die Mehrheiten und die Minderheiten – sie alle und viele mehr stehen als ewige Konkurrenten gegeneinander, die selbst nicht mehr sagen können, was sie bei allen Unterschieden denn eigentlich noch zusammenhält.“

Das „Gemeinwohl als einen für alle verpflichtenden Gedanken“, das ist es, wonach Adam sucht. Nun ist dieser Gedanke nicht eben leicht zu formulieren, zumal in Zeiten knapper Kassen und grassierender Arbeitslosigkeit. Uwe Jens Heuser befaßt sich in der Zeit mit demselben Thema und bringt dabei einen Begriff ins Spiel, den Adam sorgfältig zu vermeiden trachtet, die Solidarität: „Ein erweiterter Solidaritätsbegriff, der den Verzicht auf negative Außenwirkungen des eigenen Handelns einschließt, steht im Einklang mit individuelleren Lebensstilen. Und er rückt die Solidarität wieder stärker in das Blickfeld privater Entscheidungen. Doch auch diese Form der Solidarität ist fragil. … Die wachsende ökonomische Last nagt an der Solidarität.“

Die meisten Vorschläge, den neuen Verbund, die neue Solidarität zu finden, lassen sich gleichwohl nach wie vor mit Begriffen wie rechts und links etikettieren, mit mehr oder weniger Staat, mehr oder weniger Mitbestimmung, mehr oder weniger sozialen mehr oder weniger internationaler Ob es dann allerdings am Ende noch die für rechts und links zuständigen Parteien sind, die eine entsprechende Politik praktizieren, das steht mehr als je dahin. Warten wir ab, ob die italienische Rechtsregierung weniger staatsautoritär handeln wird als die desavouierte frühere der Mitte. Andererseits: Auch in der Vergangenheit hat man sich manches Mal gewundert, in welch schamlosem Maße Parteien gegen ihre eigenen Grundsätze zu verstoßen in der Lage waren, wenn sie die Macht erstmal errungen hatten.

Vielleicht ist auch die derzeitige Tendenz nach rechts nur eine schmerzliche Phase des Übergangs, bis ein neues Koordinatensystem für unser Zusammenleben gefunden ist. Vorausgesetzt, daß diese Phase keine Verwerfungen gebiert, die am Ende die Grundlagen unserer Zivilisation infrage stellen: den gewaltfreien Wettbewerb auf den Märkten der Meinungen und der Produkte nach den Spielregeln von Demokratie und Marktwirtschaft. Ohnehin, darauf weist Hans Mayer in einem melancholischen Essay hin, den die Süddeutsche Zeitung veröffentlichte, ohnehin sind Wendezeiten für viele gleichbedeutend mit einem Leben im Anachronismus, einem Leiden am diffusen und amorphen Zeitgeist. Was früher Geltung hatte, wird heute denunziert, was morgen Geltung haben wird, ist heute noch erbitterten Anfeindungen ausgesetzt. Mayer zitiert Alfred de Musset: „Alles was war, ist nicht mehr. Alles was sein wird, ist noch nicht. Das ist unser Unglück.“

Die rechten Intellektuellen

Zwei Namen tauchen in den Feuilletons derzeit immer wieder und immer häufiger auf, wenn es darum geht, den Rechtskurs und seine intellektuellen Gewährsleute zu thematisieren: Carl Schmitt und Ernst Nolte. Die westliche Wertegemeinschaft, in der die alte Bundesrepublik zu dem wurde, womit sie Deutschland und den Deutschen wieder Geltung in der Welt verschaffen konnte, zu einem demokratischen Rechtsstaat, scheint nicht mehr hinreichend zu faszinieren. Schmitt, der den Nazis die juristischen Stichworte lieferte, wird wieder aktuell. Gunter Hoffmann schreibt dazu in der Zeit: „In solcher Kritik an der Westbindung schlummert noch etwas anderes. Unter ihr haben wir bis 1989 offenkundig wahnsinnig gelitten, weil die nationalen Interessen nicht zu entfalten waren, weil wir also am Ende nicht souverän waren. Zugleich aber bahnt sich da das Ressentiment gegen den Liberalismus der westlichen Demokratie an. Damit sind wir unmittelbar bei Carl Schmitt angekommen. Neben Ernst Nolte, der die Vergangenheit historisiert, dient Carl Schmitt mit seinem Opus inzwischen schon wieder als Kronzeuge für eine fundamentale Kritik am Parlamentarismus und Liberalismus des Westens. Seine Ressentiments spiegeln sich bei Rechten und Linken ab.“

Und das ist es gerade: daß über die Ruinen der alten politischen Überzeugungen hinweg andere, vordergründigere und dumpfere Faszinosa, die wir zumindest im Westen jahrzehntelang per saldo für überwunden hielten, wieder an Anziehungskraft gewinnen. Es geht wieder um schwarz oder weiß, um Freund oder Feind, um Macht oder Ohnmacht. Jene Begriffe, die im Gefolge der Aufklärung konstituierend waren für die westliche Zivilisation, werden von den Apologeten der rückwärtsgewandten, faschistoiden und rassistischen Ideologien in die Defensive gedrängt: Toleranz, Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit, Gewaltfreiheit, Demokratie. Dabei sind es diese Werte, so Hoffmann, die einzig eine solide Basis für humane und verläßliche politische Regelmechanismen bieten. Alles andere, etwa der rücksichtslose Dezisionismus eines Carl Schmitt, führt in Gewalt und Chaos.

Aber weil ganz offenkundig der „intellektuelle Charme“ des unbefangenen Verhältnisses zur Macht derzeit wieder häufiger Anklang findet, müssen wir uns vielleicht von den alten Leitbildern trennen und die Probleme pragmatischer angehen, Gunter Hoffmann schreibt abschließend: „Ohne Leitbilder: Mag sein, daß darüber am Ende das Etikett von der ,Linken‘ auch gar nicht mehr stünde. Wenn man das Wort übertragen wollte, als Dach für die Vielheit der Stimmen, die sich am Konflikt um eine verantwortliche Politik beteiligen wollen, könnte man nicht das amerikanische Wort von den Liberals benutzen? Aber auf Etiketten kommt es sowieso nicht an.“

Worauf aber kommt es dann an? Es kommt darauf an, das alles andere überragende Projekt der Aufklärung, des freiheitlichen Rechtsstaates und der Demokratie zu retten. Ob mit oder ohne Etikett. Thomas Assheuer erinnert in der Frankfurter Rundschau an die „Dialektik der Aufklärung“ und an Adorno, der im „Zivilisationsprinzip selbst die Barbarei angelegt“ sah. Ist es so, daß die kapitalistische Gesellschaft den Menschen abstumpft und gleichgültig macht gegen das Schicksal des anderen, des Nächsten? Daß die Moderne den Keim der Zerstörung ihrer eigenen Grundlagen schon in sich trägt? Betrachtet man die Hilflosigkeit des Westens gegenüber den sich zerfleischenden Parteien in Bosnien-Herzegowina, die intellektuelle Machtlosigkeit in den Industrienationen gegenüber den Exzessen rechtsextremer Gewalt, die Gleichgültigkeit der reichen Nationen gegenüber den verhungernden Menschen in den Entwicklungsländern, dann drängt sich diese Dialektik geradezu auf. Zumal wenn man sich die nachgerade zynisch anmutende Realität vor Augen führt, daß es den unmittelbaren Weltuntergang bedeuten würde, wenn die Entwicklungsländer plötzlich denselben Energieverbrauch und dasselbe Umweltverhalten praktizieren würden wie die sogenannten entwikkelten. Und wenn man dann der menschenverachtenden Attitüde neuer und alter Faschisten gegenüber den „minderwertigen Rassen“ seine Aufmerksamkeit zuwendet, wenn man sich das Schamlose ihrer Motive klar zu machen versucht, erschließt sich einem das barbarische Potential der scheinbar humanen Moderne und macht schwindeln. Der Schritt von der Theorie zur Praxis der „Vernichtung unwerten Lebens“, wie sie in den Brandschatzungen und Hetzjagden der Skinnheads bereit geprobt wird, ist von da aus nicht mehr groß. Es kommt darauf an, diesen Schritt zu verhindern, ohne daß Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaates und der Demokratie aufgegeben werden. Daß es notwendig wurde, in Deutschland eigens ein Gesetz zu schaffen, das das Leugnen der Auschwitz-Morde unter Strafe stellt, spricht eine mehr als deutliche Sprache.

Ebenfalls in der Frankfurter Rundschau setzt sich Micha Brumlik mit dem zweiten Exponenten rechtsgerichteter Intellektualität in Deutschland auseinander, mit Ernst Nolte, der unlängst meinte, daß Italien nun wegen der Beteiligung der Faschisten an seiner Regierung „zur Avantgarde“ in Europa zähle. Brumliks Analyse ist vernichtend: „Erst diese Lektüre (von Noltes Gesamtwerk, K.H.) zeigt nämlich, daß Ernst Nolte wahrlich kein Neo-Nazi oder Revisionist, sondern in systematischer und moralischer Hinsicht noch schlimmer ist: Ein Verteidiger der Motive genau jenes Nationalsozialismus, der die europäischen Juden ermordet hat.“ Nolte, so Brumlik, bringe dem Holocaust nicht nur Verständnis entgegen, nein, er rechtfertige ihn offen und erkenne darin noch, wie Heidegger, die „Größe“ der Nazis. Aus seiner historischen Sicht betrachte er den Holocaust „als verständliche, damit begründete, wenn auch übertriebene Reaktion auf eine … keineswegs unrealistische Bedrohung durch bolschewistische Juden und jüdische Partisanen in Polen und Rußland.“ Und Brumlik fragt voller Sorge: „Sind wir tatsächlich wieder so weit, daß offener Antisemitismus und Akzeptanz des Nationalsozialismus von Teilen der konservativen und liberalen Intelligenz bejaht oder mindestens hingenommen wird?“ Und diese Frage stellt er nicht etwa den Exponenten ausgewiesen rechtsradikaler Kreise wie Schönhuber und Co., nein, er richtet sie zum Beispiel an den Historiker Ulrich Raulff, die Publizistin Brigitte Seebacher-Brandt und den Welt-Ressortleiter Rainer Zitelmann. An Adressaten mithin, denen man die Fähigkeit, differenziert Lehn geben, „um einen heutzutage ohnehin wohlfeilen Nonkonformismus gegen eine ohnmächtige Linke zu demonstrieren“.

Verlust der Mitte?

Aber vielleicht verfälscht die allzu umfängliche Beschäftigung mit extremen Exponenten rechtsgerichteter Ideologie die möglichst objektive Beurteilung der allgemeinen Lage. Deshalb zurück zu traditionell eher im Zentrum der gesellschaftlichen Werthaltungen angesiedelten Positionen. Dazu, so sollte man wenigstens meinen, zählt zweifelsfrei der Liberalismus. Und hat sich seine parteipolitische Spielart nicht stets und gern als Hüter der Mitte zwischen den Extremen präsentiert? Als Verhinderer sowohl linkslastiger wie rechtslastiger Politik? Liest man freilich das „Plädoyer für eine liberal-konservative Zusammenarbeit“, das Urs Schoettli, Vizepräsident der Liberalen Internationale, jüngst in der Neuen Zürcher Zeitung veröffentlichte, so kommen einem Zweifel, ob der organisierte Liberalismus seine bisherige Position überhaupt noch wahrnehmen will. Schoettli jedenfalls scheint das Exempel des ehemaligen Fraktionspräsidenten der Liberalen im Europaparlament, Valéry Giscard d’Estaing, der zur konservativen Europäischen Volkspartei übertrat, angeregt zu haben, nun seinerseits zunächst auf internationaler Ebene eine Verschmelzung mit den Konservativen zu fordern. „Mit dem mittelfristigen Ziel, die künstliche Aufsplitterung der liberal-konservativen Familie in zwei internationale Organisationen aufzuheben, sollten erste konkrete Schritte zur Zusammenarbeit realisiert werden.“ Das ist Schoettlis neue liberale Perspektive.

Nun sagt er freilich auch, wie so viele andere, daß die alten Begriffe links und rechts heute nicht mehr taugen, denn es lägen in manchen Sachfragen Welten zwischen den sozialistischen, konservativen oder liberalen Schwesterparteien, wenngleich sie international zu je einer Organition zusammengeschlossen seien, etwa zwuschen den spanischen Sozialisten des Felipe Gonzalez und der britischen Labour Party. „Heute ist die Hauptherausforderung an die Demokratie in Europa nicht die Links-rechts-Polarität, sondern die Alternanz, der Machtwechsel.“ So Schoettlis recht formale Einschätzung gegenwärtiger Notwendigkeit.

Auf Deutschland angewandt ist diese Begründung für den Vorschlag, eine eigenständige liberale Parteiorganisation aufzulösen und mit den Konservativen zu fusionieren, mehr als merkwürdig. Denn bisher wurde die Alternanz in vielen Fällen eben dadurch bewirkt, daß die Liberalen frei waren, die Koalition zu wechseln. Nun also sollen sie sich den Konservativen anschließen, im traditionellen Sinne also den Weg nach rechts einschlagen und zur Polarisierung oder auch Nivellierung der parteipolitischen Landschaft ihr Scherflein beitragen. Man denkt an manche Stellungnahmen zum Verhalten der Liberalen bei der Bundespräsidentenwahl, an die Mutmaßungen, die Freien Demokraten hätten ihre programmatisch und funktional definierte Position der Mitte dabei endgültig zugunsten des Machterhaltungs-Kalküls aufgegeben. Das scheint Schoettlis Wegweisung nach rechts zu entsprechen. Aber was soll man dann halten von dem Satz, den der Generalsekretär der Freien Demokraten, Werner Hoyer, in der Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, Aus Politik und Zeitgeschichte, drucken ließ: „Es kommt offensichtlich in Deutschland einer kleineren, flexibleren Partei die Aufgabe zu, gegen die Beharrungskräfte und die Entscheidungsangst den Willen und den Mut zu Veränderung zu setzen.“?

Rechte Sympathisanten?

Es ist zu einer irgendwie verschämten Attitüde mancher Politiker geworden, so der Schriftsteller Jurek Becker in einer bemerkenswerten Rede, die in der Zeit nachzulesen ist, um den rechten Brei herumzureden. Den Grund dafür vermutet er in dem unausgesprochenen Wunsch, für Rechtsextreme wählbar zu bleiben. Dabei übersehen die Politiker oder nehmen gar billigend in Kauf, daß sie dem Rechtsextremismus und seinen Organisationen willkommen Vorschub leisten, sie sozusagen hoffähig machen. „Ich sehe Regierungspolitiker sich vor der Kamera winden, wenn es darum geht, Stellung zu den Haßausbrüchen zu beziehen. Kaum brennt ein Ausländerhaus, schon läßt der Bundeskanzler seinen Sprecher verkünden, es müsse dem Terror von links und rechts Einhalt geboten werden, fast immer in dieser Reihenfolge und immer, ohne der einen Hälfte dieser Ankündigung irgendeine Tat folgen zu lassen.“ Das ist übertrieben, so möchte man einwenden, schließlich sind Gesetze verschärft worden, weitere Gesetzesentwürfe auf den Weg gebracht. Vergegenwärtigt man sich dann aber die viel zitierten Einlassungen zur Ausländerfrage von Edmund Stoiber über Volker Rübe bis zu Klaus Wedemeier, dann fragt man sich, ob wirklich übertrieben ist, was Becker vermutet. Eine bezeichnende Antwort auf die rigide Asylpolitik in Deutschland ist in diesen Tagen auch im mancherorts praktizierten Kirchenasyl zu finden. Alles in allem ist wohl nicht von der Hand zu weisen, daß die Rechtstendenzen auch in den demokratischen Parteien Widerhall finden.

Deutschlands Sonderrolle

Gehören wir Deutschen denn nun, vielleicht zusammen mit den Italienern, zur internationalen Vorhut auf dem Weg nach rechts? Gewiß nicht, die Rechtstendenzen im Ausland sind häufig genug nicht weniger prägnant, ja deutlich ausgeprägter als bei uns. Bei uns allerdings werden sie vom Ausland aus erheblich sensibler beobachtet und registriert als anderswo, und das sicher nicht grundlos. Ein Beispiel: Um den Dichter Louis-Ferdinand Celine, Kollaborateur der Nazis und Rassist übelsten Ausmaßes, gibt es derzeit, anläßlich seines hundertsten Geburtstags, eine lebhafte Kontroverse, nicht nur in Frankreich. Schamhaft versuchen die Herausgeber der neuen Gesamtausgabe in der ehrwürdigen Bibliothéque de la Pléiade seine kompromittierenden Bücher wegzulassen, als gäbe es sie gar nicht. Die Kritiker jedoch machen in den Medien darauf aufmerksam, auch der in Paris lebende Regisseur und Schriftsteller Benjamin Korn in der Zeit. In einem grandiosen Essay deckt er die faschistische und antisemitische Gesinnung Célines schonungslos auf und macht auf die pharisäische Attitüde aufmerksam, seine tatsächlichen Ansichten in den offiziösen Würdigungen zu bemänteln.

Jedoch auch bei Korn, dessen Blick auf die rechtslastige politische Lage in Frankreich gewiß nicht getrübt ist, kommt Deutschland vergleichsweise schlecht weg: „In den Diskussionen, die im letzten Jahr Deutschland belebten, den Texten von Enzensberger, Walser, Strauß und Heiner Müller, gibt es auch einen gemeinsamen Nenner, den man als das Fehlen von etwas bezeichnen könnte. Was fehlte, war, daß sich keiner dieser deutschen Vordenker mit ein paar starken, klaren und leidenschaftlichen Worten für die Ausländer, die Asylanten und gegen die Nazis in die Bresche warf. Als im letzen Jahr die Häuser brannten, da hätte ich kein Türke, kein Afrikaner, kein Rumäne sein wollen in Deutschland. Alle Diskussionsbeiträge partizipierten auf hohem Niveau an der allgemeinen Verfettung des Denkens und der Bankkonten und masturbierten gelangweilt am Begriff des Nationalen, des Planetarischen und Molekularen herum und waren nicht einen Eimer wert, mit dem man die brennenden Häuser löschte.“

Wie es also in Frankreich an Kritikern mangeln mag, die ohne etwas wegzulassen den Faschismus zum Beispiel in der Kollaboration mit den Nazis anprangern, auch wenn es intellektuelle Größen trifft, so fehlt nach Benjamin Korn den Deutschen heute „das ungeheuer reiche Potential der deutschen Denker, die sich dem Faschismus verweigert haben, starben, verhungerten, sich töten“. Das Alarmsignal indes, das diese Abwesenheit von entschiedenen Parteinahmen der deutschen Intellektuellen an die Nationen der Welt aussendet, klingt aufgrund des tiefsitzenden Horrors bei der Erinnerung an die Greuel der Nazis erheblich schriller als das mancher ähnlicher Erscheinungen etwa in Frankreich.

Die moralische Frage von Gut und Böse

Wenn ich es recht sehe, geht es in den aktuellen Links-Rechts-Diskussionen, getreu der geistesgeschichtlichen und politischen Tradition in Deutschland, vor allem um die moralische Frage von Gut und Böse, die gelegentlich, meist unzulässigerweise, Links und Rechts zugeordnet, in Links und Rechts verkleidet wird. Die jeweiligen Inkarnationen des Bösen sind austauschbar, die Guten indes stehen fast immer in den eigenen, biologischen wie intellektuellen, Bataillonen. Statt dessen lieber zurückzugreifen auf die kantische Evidenz, scheint mir gute aufklärerische Praxis und deshalb humaner, dem Menschen angemessener zu sein.

Ralf Dahrendorf ist geübt in solcher Praxis. Im Mai-Heft des Merkur veröffentlichte er den elften Teil seines „Europäischen Tagebuches“. Darin geht er, wie schon öfter, auf einen ungeschliffenen Zweizeiler Wolfgang Harichs ein: „‚Ich sage immer links und rechts – und meine damit Gut‘s und Schlecht‘s.‘ Nicht gerade eine Zahme Xenie, aber immerhin ein Ausdruck von Vorlieben, die mir nicht fremd sind. Doch sind ,gut‘ und ‚schlecht‘ hier, jedenfalls für mich, keine moralischen Kategorien. Insoweit sie nicht anatomisch sind (‚das Herz schlägt links‘) besagen sie nur, daß die Dinge nicht so bleiben dürfen wie sie sind. Die gesinnungsethische Grenze von Gut und Böse ist absolut. Innerhalb der Grenze aber ist Unruhe erste Bürgerpflicht.“