Wilhelm Busch – Humorist wider Willen
Vor hundertundfünf Jahren, am 9. Januar 1908, ist Wilhelm Busch in Mechtshausen bei Göttingen im Alter von 75 Jahren gestorben. Geboren wurde er am 15. April 1832 im niedersächsischen Dorf Wiedensahl. Er kam aus kleinen Verhältnissen, seine Eltern betrieben einen bescheidenen Krämerladen. Der Sohn wurde schon zu Lebzeiten über die Grenzen Deutschlands hinaus zu einer Berühmtheit, und nach seinem Tode hielt sich der Ruhm bis zum heutigen Tage.
Wilhelm Busch gilt als der deutsche Humorist, an dem sich alle anderen messen lassen müssen. Und für die Epigonen, die Verfasser und Zeichner von Bildergeschichten vor allem, ist er nach wie vor ein Orientierungspunkt, dem nahe zu kommen so gut wie unmöglich zu sein scheint. Als unerreicht gilt die geniale Symbiose seiner Zeichnungen und Texte, die an humoristischer Wirkung kaum zu übertreffen ist. Mancherlei Überlegungen und Interpretationen sind dazu angestellt worden; es scheint, als gingen alle uns heute geläufigen Bildergeschichten, Comic Strips und Cartoons elementar auf seine Einfälle und Techniken zurück. Der Busch-Experte Gert Ueding schreibt dazu: „Das Ergebnis [der Verse und Zeichnungen – K.H.] war ein in Literatur- und Kunstgeschichte gleichermaßen folgenreiches Wunderwerk, das bis in unsere Tage hinein Künstler wie Robert Gernhardt und Friedrich Karl Waechter, Hans Traxler, F.W. Bernstein und Tomi Ungerer inspiriert hat.“
Nicht nur das. Busch hat bald auch im Ausland Nachahmer und Verehrer gefunden. Am bekanntesten wurden wohl „The Katzenjammer-Kids“, eine Max-und-Moritz-Adaption, die Rudolph Dirks Ende des 19. Jahrhunderts für das Comic Supplement des New York Journal geschrieben und gezeichnet hat. Busch war es auch, der mit mancherlei originellen Einfällen, mit Lautmalereien zum Beispiel („klickeradoms“) und mit Verballhornung von Endreimen Varianten humoristischer Sprachspielerei populär machte, die seitdem von vielen Spaß-Lyrikern augenzwinkernd imitiert werden. Noch in den letzten Gedichten von Peter Rühmkorf etwa finden sie ihre Entsprechungen. Busch dichtete: „In der Kammer still und donkel / liegt die Tante bei dem Onkel.“ Bei Rühmkorf sind die Zeilen zu lesen: „Ich schränkte die Säge, ich wetzte das Beil, / weil mir ein besonntes Altenteil / doch erfreulicher schien als ein düstres. / (…) / gib Acht, es folgt was Illüstres!“ Wenn er dann freilich noch „Poengten“ auf „Beschenkten“ reimt, wäre solch affektierte Reimdrechselei wohl selbst Wilhelm Busch reichlich gewagt erschienen.
In welchem Maße Humor in Deutschland mit dem Namen Wilhelm Busch verbunden ist, mag auch die Szene illustrieren, in der Kultur-Staatsminister Bernd Neumann auf einer Jubiläumsveranstaltung, einer Zeitungsmeldung zufolge, dem Wiedensahler kurzerhand die Vaterschaft nicht nur von „Max und Moritz“, sondern auch noch für den „Struwwelpeter“ zuschrieb. Solche Spitzenleistung liegt auf Augenhöhe mit dem Diktum des ehemaligen Fernseh-Moderators Ulrich Wickert, der via Mattscheibe Erich Kästner für den Autor der „Feuerzangenbowle“ ausgab. Freilich erhellen Fettnäpfchen-Ereignisse dieses Kalibers auch das vor allem im Ausland hämisch registrierte Unverhältnis, das wir Deutschen angeblich zum Humor haben.
Aber der Humorist Busch schrieb gar nicht immer nur lustige Geschichten, wie etwa Eva Weissweiler feststellt, die pünktlich zu Buschs Hundertstem eine informative und ausgewogene Biographie über den „lachenden Pessimisten“ veröffentlicht hat. Manche seiner Werke wurden in der zeitgenössischen Kritik eher zurückhaltend aufgenommen, und in seinen ernst gemeinten Gedichten und Geschichten, die Busch gegen Ende seines Lebens verfaßt hat, den Sammlungen „Kritik des Herzens“ und „Zu guter Letzt“ sowie den Prosa-Arbeiten „Eduards Traum“ und „Der Schmetterling“ sieht Frau Weissweiler eher verunglücktes Epigonentum denn originelle Dichtung, die es gar mit der Weltliteratur aufnehmen könnte. „Eduards Traum“, so meint sie, ist „eben keine ‚Perle der Weltliteratur‘, sondern gibt den Blick in seelische Abgründe frei, die aus den Bildergeschichten zu erahnen waren.“
Der Erz-Pessimist
Um was für Abgründe geht es da? Was für ein Mensch war Wilhelm Busch, der von Max und Moritz am Ende nur noch Schrotkörner übrigläßt, die von Meister Müllers Federvieh aufgepickt werden; dessen Eispeter schlussendlich zu Brei zerrinnt und eingemacht wird; der die fromme Helene verkohlt und verbrannt in den Schlund der Hölle fahren läßt; dessen Fipps, der Affe, mit viel Getöse niedergeschossen wird; dessen Unglücksrabe Hans Huckebein sich zuletzt volltrunken am „künstlichen Gestricke“ der Tante Lotte zu Tode stranguliert; und dessen heiliger Antonius von Padua nach mancherlei erfolgreich überstandenen Versuchungen zusammen mit einem Schwein in den Himmel auffährt (weshalb die Bildergeschichte wegen Blasphemie zunächst der Zensur zum Opfer fiel)?
Das alles klingt nicht besonders lustig, eher scheint es auf sadistische Neigungen und ein boshaftes Gemüt hinzuweisen. Und wenn wir dann noch lesen, daß Busch ein Verehrer von Schopenhauer, dem Papst des Pessimismus, gewesen sei, wird vollends rätselhaft, warum man ihn dennoch als Humoristen feiert. Ludger Lütkehaus, Herausgeber einer Schopenhauer-Gesamtausgabe, kommt gar zu dem Schluß: „Busch, das ist Schopenhauer ohne Erlösung.“ Bei dem Philosophen gibt es am Ende wenigstens noch das Mitleid, das das Böse im Menschen mildert, bei Busch ist auch diese Anwandlung getilgt. Für ihn regiert das Böse unumschränkt. Den Onkel Nolte läßt er sagen: „Das Gute – dieser Satz steht fest – ist stets das Böse, was man läßt!“ Volker Ullrich schreibt dazu: „Busch war der Überzeugung, daß die Menschen im Grunde unverbesserlich seien, beherrscht von bösen Trieben, deren Ausleben eben nur durch brutale Unterwerfungs- und Dressurakte unterbunden werden könne.“
„Humor ist, wenn man trotzdem lacht“
Weshalb ist Busch nun trotzdem lustig? Weshalb bringt er uns mit seinen Bildern und Versen immer und immer wieder zum Lachen? Christoph Dieckmann hat eine Erklärung: „Die Schadenfreude, die behagliche Erbauung am fremden Desaster, macht einen großen Teil der Popularität von Wilhelm Busch aus.“ Das scheint plausibel, ist aber allenfalls die halbe Wahrheit. Es ist die „Einheit von Wort und Bild“, die Thomas Theodor Heine und viele andere an Buschs Bildergeschichten rühmen; sie vor allem anderen spricht unmittelbar unsere Sinne an und bemächtigt sich unwiderstehlich unserer Lachmuskulatur. In beidem, Vers und Zeichnung, ist Busch so prägnant wie sonst kaum jemand. Und beides zusammen, der treffsicher gedrechselte, zielgenaue Vers und die bis ins Detail kongeniale Zeichnung, wirken wie ein humoristisches Feuerwerk, dem sich niemand entziehen kann.
Und wie ist es mit den pessimistischen Botschaften, den bösartigen Gestalten, die der Dichter uns präsentiert? In manch einer pharisäischen Figur, in so mancher Bloßstellung von Eitelkeit, Verlogenheit oder Scheinheiligkeit erkennen wir die ‚normalen’ Alltags-Menschen. – Natürlich vor allem die anderen, in ganz seltenen, lichten Momenten der Einsicht vielleicht auch mal uns selbst. Daß es dann meist drastisch endet mit den bösen Buben, hinterhältigen Dirnen oder selbstgerechten Bürgern, befeuert unsere Schadenfreude; wenn sie auch gelegentlich mit leisem Bedauern gemischt sein mag darüber, daß nicht einmal Max und Moritz ungestraft, sprich: mit dem Leben davonkommen.
Überdies scheint Busch unseren Einsichten und Ansichten zu schmeicheln, wenn er in seiner unübertroffenen ironischen Art verbreitete Alltagserfahrungen abgründig auskostet. Fein gesponnene Realsatire, kaum noch von der Realität zu unterscheiden. Wie endet zum Beispiel die Liebe zwischen Mann und Frau? „Bei eines Strumpfes Bereitung / sitzt sie im Morgenhabit. / Er liest in der Kölnischen Zeitung / und teilt ihr das Nötige mit.“ Lustig, nicht wahr? Aber genauer besehen: Eigentlich doch eher deprimierend. Und gar nicht so lustig. Obendrein bei aller Lächerlichkeit leider auch noch wahr.
Wie es nun freilich mit unserer Selbstkritik bestellt ist, mit der Katharsis, die doch nicht ausbleiben dürfte angesichts der alltäglichen Pharisäerei, die Wilhelm Busch entlarvt und an den Pranger stellt – das hat der Meister uns auch gleich mitgeteilt: „… und viertens hoff ich außerdem / auf Widerspruch, der mir genehm …“ Nicht einmal hier sind wir wirklich zur Einsicht fähig, schätzen in unserer eitlen Eigenliebe die Selbstkritik nur wegen ihrer philiströsen Wirkung: „So kommt es denn zuletzt heraus, / daß ich ein ganz famoses Haus.“ Unschön, wenn man mit der Nase auf den Balken im eigenen Auge gestoßen wird. Aber, wie gesagt, meistens sind es ja die anderen.
Religion und Politik
Nun die Gretchenfrage: Wie hielt Busch es mit der Religion? Und mit der Politik? Die Frömmigkeit, so lehrt uns der „Heilige Antonius von Padua“, war wohl Buschs Sache nicht. In seiner Familie allerdings gab es eine Reihe von Theologen. Sein Onkel, der Pastor Kleine aus Ebergötzen, bei dem er aufgewachsen ist, mag ihm eine durchaus christliche Erziehung vermittelt haben. Trotzdem wurde kein besonders gläubiger Zeitgenosse aus ihm. Vielmehr entwickelte sich schon bald seine Überzeugung, daß die Menschen durch und durch böse seien. Ob er wenigstens daran geglaubt hat, daß sie vom Bösen zu erlösen wären? Wohl eher nicht. Ulrich Mihr spricht von dem „Protestanten, der trotzdem lacht“ und schreibt: „Busch akzeptierte zwar noch die moralischen Sätze der protestantischen Ethik, aber er glaubte nicht mehr an den metaphysischen Überbau, mit dem sich diese Ethik rechtfertigen wollte.“ Das mag bei aller Geschwollenheit der Formulierung stimmen. Will man ihn dennoch zuordnen, so war Busch wohl allenfalls ein Agnostiker, der den Schritt zum Atheismus nicht wirklich vollziehen wollte – obwohl er ihm, auch weil er Darwin gelesen hatte, eigentlich plausibel zu sein schien.
Und in der Politik? Dort war er ein Kind seiner Zeit. Meist habe er nationalliberal gewählt, so schrieb er in seinen autobiografischen Notizen. Den Bismarckschen „Kulturkampf“ gegen die Privilegien der katholischen Kirche und den Jesuitenorden unterstützte er mit dem „Pater Filuzius“; und Preußens Kriegszug gegen die Franzosen mit der Bildergeschichte „Monsieur Jacques à Paris während der Belagerung von 1870“. Beides sind keinesfalls Ruhmesblätter, zum Glück findet man sie auch meist nicht in den populären Samlungen seiner Werke. Eva Weissweiler nennt den „Filuzius“ mit aller Berechtigung ein „Klamaukstück“. Und mit dem Monsieur Jacques zog Busch sich postum ausgerechnet die Anerkennung der Nazis zu. Dazu paßt das Bild des Juden, das Busch in manchen seiner Geschichten zeichnet. Obwohl zu seinem Freundeskreis der jungen und mittleren Jahre einige Juden gehörten, karikierte er sie auf üble Weise, was freilich zu seiner Zeit in vielen Zeitungen und Zeitschriften gang und gäbe war. Mit dem „Schievelbeiner“ aus „Plisch und Plum“ faßte Busch alle Negativ-Klischees zusammen, die es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Bezug auf die Juden gab. Man mag ihm zugute halten, daß es möglicherweise meist Gedankenlosigkeit war, die ihn zu antisemitischen Ausfällen animierte – dennoch schürte er zusammen mit Zeitgenossen wie Richard Wagner, Eduard von Hartmann, Heinrich von Treitschke und anderen Persönlichkeiten aus der deutschen Elite eine Glut, die Jahrzehnte später zu einer vernichtenden Feuersbrunst werden sollte. Busch selbst schrieb 1891 in „Eduards Traum“: „Mit der Politik gab ich mich nur so viel ab als nötig, um zu wissen, was ungefähr los war.“
Wie diese Haltung Buschs auf einen Heutigen wirkt, der dem Altvorderen ambivalent gegenübersteht, halb bewundernd, halb skeptisch, und der sich in seinen eigenen Geschichten stets auch mit Politik befaßt hat, erfahren wir von Reiner Zimnik, dem begnadeten Erfinder des „Lektro“: „Da wird vom plattesten Chauvinismus bis zum schmuddelig augenzwinkernden Antisemitismus nichts, aber auch gar nichts ausgelassen, was dem zahlenden Spießbürger entgegenkommen könnte. (…) Ignoranz als Idylle auf der Gartenbank, neben dem Bienenstock; Philisterweisheit in leicht verdauliche Scherzchen portioniert – kann man so leben?“ Und Tomi Ungerer faßt zusammen: „In Busch steckt die ganze deutsche Seele … Seine Satire ist die Kristallisation des Biederen, Kleinbürgerlichen.“ – Damit müssen wir wohl leben. Um so abstruser erscheint es, wenn Max und Moritz für einige selbsternannte Revoluzzer sogar zur Verherrlichung des Sozialismus herhalten müssen und in „Marx und Maoritz“ umgetauft werden. Das buchen wir am besten unter die Rubrik „Höherer Blödsinn und andere Abnormitäten“.
Wilhelm Busch und die Frauen
Nun zum weiblichen Geschlecht. Manche Interpreten finden hier den Dreh- und Angelpunkt für die Griesgrämigkeit, die sadistischen Neigungen und die Misanthropie, von denen Buschs Leben und Dichten strotzt. Denn er hat nie eine abgekriegt. Verliebt hat er sich schon gelegentlich, aber in seinen jüngeren Jahren fand solche Liebe keine Erwiderung. Zum Beispiel seine Cousine Henriette, bei der er nicht landen konnte. Oder eine „Vielgeliebte“ namens Anna Richter, von der Busch seinem Freund und Verleger Otto Bassermann schreibt. Ob es sie tatsächlich gegeben hat oder ob sie nur in der Phantasie des Dichters lebte, darüber streiten die Gelehrten. Jedenfall berichtet Busch, daß Anna nicht ihn, sondern am Ende einen kleinen Beamten heiratete. Was den Meister zu der letzten Strophe eines Gedichtes über ein Blümelein und einen Schmetterling inspiriert haben mag: „Doch was am meisten ihn entsetzt, / das Allerschlimmste kam zuletzt. / Ein alter Esel fraß die ganze / Von ihm so heißgeliebte Pflanze.“
Und auch in seinen reifen Jahren kam er über das Platonische nicht hinaus. Ob es nun die Holländerin Marie Anderson war, mit der er einen lebhaften Briefwechsel pflegte, oder seine Mäzenin Johanna Keßler aus Frankfurt, bei der er einige Jahre Unterschlupf fand: beide waren vergeben. Die Holländerin an den umtriebigen Dichterkollegen Eduard Douwes Dekker alias Multatuli und die Frankfurterin an einen Bankier, mit dem sie freilich eine eher pflichtgemäße Ehe führte, die gleichwohl zwei Töchter zur Folge hatte. Busch blieb die intellektuelle Konversation; was seine sexuellen Defizite freilich keineswegs kompensieren konnte. Eva Weissweiler meint deshalb, er sei über Jahre ein Bordellgänger gewesen. Von Wiedensahl am Wochenende nach Hannover in den Sündenpfuhl und dann wieder in seine Abgeschiedenheit, von der er dichtete: „Wer einsam ist, der hat es gut. / Weil keiner da, der ihm was tut.“ Eindeutig belegt sind diese amourösen Ausflüge nicht, aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht dafür.
In jedem Falle hat Wilhelm sich nach der holden Weiblichkeit gesehnt, das klingt aus jeder Zeile seines „Klageliedes eines Junggesellen“: „Und komm ich endlich dann nach Haus / und zieh mich zähneklappernd aus / und steig ins Bett, – so fühl ich recht, / daß mir was fehlt, was ich wohl möcht‘.“ Und was er wohl gemocht hätte, das hat Wilhelm Busch gelegentlich in seinen Bildergeschichten dargestellt. Zum Beispiel eine dralle, vollbusige Maid wie Julchen Knopp, die sich schließlich mit ihrem Schwarm, Försters Fritze, vermählen darf. Und dieser Fritze, wen mag es jetzt noch wundern, ist seinem Schöpfer wie aus dem Gesicht geschnitten.
Wilhelm Busch und die Malerei
Busch hatte seit den späten sechziger Jahren mit seinen Bildgeschichten großen Erfolg. Er hatte als Autor und Zeichner für die „Fliegenden Blätter“ des Verlegers Kaspar Braun in München begonnen und wurde 1869 durch „Max und Moritz“ mit einem Schlag berühmt. Von da an wurde er mit seinen illustrierten Dichtungen zum Bestseller-Produzenten. Dabei hatte er etwas ganz anderes werden wollen: ein ernstzunehmender bildender Künstler. Er hatte an den Kunstakademien in Düsseldorf und in Antwerpen studiert und sich als Maler ausbilden lassen. Als er allerdings die alten Holländer, Rubens, Hals, Brouwer und andere kennenlernte, erkannte er bald, daß es ihm an Talent fehle, um ihnen auch nur nahe zu kommen. Mag sein, daß er sich darin getäuscht hat, denn später bewunderten keine Geringeren als Paul Klee und August Macke die Modernität der Buschschen Gemälde. Etwa eintausend davon hat er hinterlassen. Meist sind sie schluderig auf minderwertigem Material gemalt und aneinandergestellt, bevor sie richtig getrocknet waren. Wohl ein Zeichen dafür, wie wenig Busch selbst von seinen Werken hielt. Ein weiteres Zeichen: Nicht ein einziges Mal hat Busch seine Bilder ausgestellt, ja, er hat sich nicht einmal darum bemüht. Welch sarkastische, ja verächtliche Belustigung mag er angesichts seiner Geringschätzung des eigenen künstlerischen Talents darüber empfunden haben, daß er mit den – wie er meinte – allenfalls zum Broterwerb tauglichen Bildergeschichten zum Weltstar wurde!
War er deshalb ein solcher Griesgram und Misanthrop? Er brachte es fertig, all seine Freunde aus den frühen Münchener Jahren vor den Kopf zu stoßen, alle Freundschaften und Beziehungen bis auf wenige irreparabel zu zerstören. Franz von Lenbach, Paul Lindau, Kaspar Braun, Hermann Levi, Wilhelm von Kaulbach, Johanna Keßler, alle brüskierte er grundlos, so daß sie sich schließlich irritiert von ihm abwandten. Nur zu Erich Bachmann, dem Kindheits-Freund aus Ebergötzen, und zu Otto Bassermann, seinem Verleger, blieben die persönlichen Beziehungen erhalten. Allerdings setzte er Bassermann in geschäftlichen Dingen recht heftig zu und trieb auch diese Freundschaft bis an den Rand der Belastbarkeit.
„Zu guter Letzt“
Und dann zog er sich in die Einsamkeit zunächst von Wiedensahl, später von Mechtshausen zurück, wo seine Schwester, die Neffen, die beiden Großnichten und der Großneffe Martin seine Gesellschaft waren. Vor allem Ruth und Anneliese, die beiden Großnichten, müssen den Großonkel abgöttisch geliebt haben, und auch seine Neffen ließen nichts auf den berühmten und mittlwerweile auch reichen Verwandten kommen. In dieser Gesellschaft hat er sich wohl geborgen gefühlt, er, der Erz-Niedersachse. Seine Reisen haben ihn kreuz und quer durch Deutschland, aber sonst nicht weiter als nach Antwerpen und Rom geführt. Am wohlsten fühlte er sich, wenn er wieder zu Hause war.
Und doch ist er einer der international meistgelesenen deutschen Autoren. Theodor Heuss nahm ihn 1957 in seine Sammlung „Die großen Deutschen“ auf, verfaßte freilich einen eher weichgespülten Artikel über Buschs Leben, in dem die Ecken und Kanten des Einzelgängers gnädig retuschiert werden. Zu Lebzeiten stand der Eremit von Mechtshausen in der Öffentlichkeit bereits in so hohem Ansehen, daß Kaiser Wilhelm II. ihm zum Siebzigsten per Telegramm gratulierte. Das alles hat ihn nicht mehr beeindruckt. Er produzierte nichts mehr und nahm auch nicht mehr an der intellektuellen Diskussion in Deutschland teil. Tragische Todesfälle in seiner Umgebung rüttelten ihn zeitweise auf, aber alles, auch der Tod seines Freundes Erich Bachmann, berührte ihn eigentlich nur noch von Ferne. Am Morgen des 9. Januar 1908 entschlief er in aller Stille unter den Augen von Else Nöldeke, der Frau seines Neffen Otto, die ihn bis zuletzt gepflegt hatte.